Lohn des Todes
Anspruch, bei Miriam, ihrer Mentorin.«
»Immerhin. Das macht sie aber trotzdem nicht geeignet für eine OFA. Und andere Dinge ja wohl auch nicht. Hast du mit ihr gesprochen?«
»Noch nicht. Komm, lass uns ins Zimmer gehen.« Martin hörte sich auf einmal seltsam zerknirscht an. Wieder wurde eine Tür
geöffnet, dann geschlossen. Maria schlief anscheinend in der kleinen Kammer. In den Raum hatte ich nicht geschaut, nun bereute
ich es. Was meinte sie mit: »Hast du schon mit ihr gesprochen?« Worüber sollte Martin mit mir reden? Was ging hier vor? Ich
hatte das sichere Gefühl, dass Maria mehr für Martin war als nur seine Assistentin. Warum sprach er mit ihr über mich? Und
weshalb war sie mir so feindlich gesonnen?
Diese Gedanken beschäftigten mich. Schließlich wurde ich müde und legte mich ins Bett. Charlie brummte einmal laut und wohlig,
streckte sich aus und schnarchte sanft. Martin war immer noch mit Maria in dem kleinen Zimmer nebenan. Die Wände waren so
dick, dass kein Geräusch zu hören war. Über meinen Grübeleien schlief ich ein.
Am nächsten Morgen verkündeten die Vögel mit lautem Trällern den neuen Tag. Ich wachte wie gerädert auf, mein Nacken war steif,
vermutlich hatte ich falsch gelegen. Martin lag im Bett, den Rücken mir zugewandt und schlief tief und fest. Ich hatte nicht
bemerkt, dass er ins Bett gekommen war.
Der Blick auf den Wecker zeigte mir, dass es noch viel zu früh war, um an einem Samstag aufzustehen, erst kurz vor sechs.
Doch an weiteren Schlaf war nicht zu denken. Langsam wich die Dunkelheit dem ersten Licht des Tages. Nur eine Ahnung, wie
ein Versprechen, zuerst. Dann wurde der Himmel rosa, so als würde er sanft erröten.
Ich lag auf dem Rücken, lauschte den tiefen Atemzügen neben mir und dem kurzen Schnaufen vor dem Bett. Charlie träumte intensiv,
seine Pfoten bewegten sich, und immer |44| wieder rannen kurze Schauer durch seinen Körper. Vermutlich traute er sich wenigstens im Traum, einen Hasen zu jagen.
Ich sah zu Martin, sah, wie sich seine Schulter bei jedem Atemzug hob und senkte. Am liebsten hätte ich ihn angefasst, wollte
ihn jedoch nicht wecken. Das Schlafzimmer war nach dem Bad der erste Raum gewesen, den wir renoviert hatten. Wir kauften ein
altes Holzbett mit gewundenen Pfosten und stellten es hier auf. Und dann liebten wir uns, noch bevor wir es bezogen hatten.
Damals waren wir glücklich und sehr leidenschaftlich. Ich erinnerte mich daran, wie er mir hastig die Sachen vom Leib riss,
mich auf die neue Matratze drängte, die noch mit Folie überzogen war. Ich hatte das kalte Plastik auf meiner Haut gespürt,
nur für einen Moment, dann wurden andere Empfindungen wichtiger. Seine Hände, die mich zärtlich und fordernd berührten, sein
Mund, der an mir saugte. Ungeduldig hatte ich den Reißverschluss seiner Hose geöffnet, seine heiße Erregung gefühlt. Er drängte
sich zwischen meine Schenkel, aufgeregt wie ein Teenager, drang in mich ein. Wir liebten uns, geschmeidig wie Öl, ertasteten
einander, schmeckten uns, tranken uns aneinander satt. Und dann trug uns der Rhythmus fort. Später war der Samstagmorgen immer
der Zeitpunkt gewesen, an dem wir uns hier geliebt hatten. Weit ab von unserer Arbeit und dem Stress, von Nachbarn und hellhörigen
Häusern. Der, der als Erster wach wurde, machte den Anfang. Jedes Mal war es zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Doch
nun konnte ich mich nicht überwinden, ihn zu berühren, fürchtete eine Zurückweisung. Wann hatten wir uns das letzte Mal geliebt?
Ich konnte mich nicht daran erinnern, es musste Monate her sein.
Seufzend drehte ich mich auf die Seite, starrte in den Sonnenaufgang. Charlie hob den Kopf, kam zu mir und stupste mich an.
Ich kraulte seine weichen Ohren, die sich wie Plüsch anfühlten, zwinkerte die Tränen weg.
Es liegt an dir, Conny, die Situation zuändern. Fass Martin an, verführe ihn. Das ist dir früher immer gelungen, sagte ich
mir.
Früher. Früher war nicht jetzt. Ich hob die Decke an, stand |45| leise auf. Meine Laufsachen lagen auf dem Boden vor dem Fenster. Ich nahm sie und schlich mich ins Bad. Zehn Minuten später
joggte ich mit Charlie durch die Felder. Über den Wiesen hing der Nebel so dicht, dass es so aussah, als ob die Köpfe der
Kühe körperlos darin schwebten. Im Laufe des Tages, das kündigte die aufziehende Sonne an, würde sich der Dunst verziehen.
In meinem Kopf waren Bilder von der kleinen, zierlichen,
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