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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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meinen Knochen saß, den größten Schrecken hatte »damals« verloren. Ich war hier,
     ich war hierher gefahren, hatte es überlebt. Ich war gelaufen, spazieren gegangen, hatte diese Hürden gemeistert, ohne, wie
     von mir befürchtet, gelähmt zusammenzubrechen.
    Manche Menschen überwinden ihre Phobie vor Spinnen dadurch, dass sie eine in die Hand nehmen und feststellen, dass das Insekt
     sie nicht umbringt und sie auch nicht vor Angst sterben. Der Ekel mochte bleiben. Genauso würde ich meine Erinnerungen und
     die Angst immer in mir tragen, doch die alles verzehrende Furcht schien überwunden zu sein. Erleichtert stieß ich die Luft
     aus.
    Gefangen. Gequält . Unbekanntes Opfer. Leichnam positioniert. Overkill .
    Ich schluckte. Dort lag mein Unbehagen, es hatte etwas mit dem Fall zu tun. Mit diesem Fall, der nicht meiner war, mit dem
     ich nicht verbunden war.
    »Conny?«
    Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte nicht gehört, dass er die Treppe hinuntergekommen war, die Tür geöffnet hatte.
    »Martin! Wie kannst du mich so erschrecken?«
    »Es tut mir leid. Kannst du nicht schlafen?«
    »Doch. Ich habe mir nur ein neues Hobby zugelegt: Schlafwandeln. Eigentlich aber liege ich oben im Bett und träume selig.«
     Ich schnaubte.
    Zögernd blieb er an der Tür stehen. Vermutlich wusste er nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte. Wie auch, ich
     wusste es ja selbst nicht.
    »Ich glaube, es ist der Fall. Ich habe einige Dinge gehört und sie beschäftigen mich nun«, sagte ich versöhnlich. »Ich weiß
     nur nicht, was genau mich so beunruhigt.«
    Dann fiel es mir ein. Sonja Kluge. Das zweite Opfer. Ich |39| schnappte nach Luft, schlug meine Hand vor den Mund. »O Gott!«
    »Conny?« Martin kam zu mir, kniete sich neben mich, legte mir den Arm um die Schulter. Ich roch den vertrauten Duft nach Seife,
     Schlaf und seiner Haut, fühlte mich für einen Moment geborgen. »Es war eine saublöde Idee von mir, mit den anderen hierher
     zu kommen, ohne es dir zu sagen. Du bist hier reingerannt wie in ein offenes Messer. Wirst hier mit grauenvollen Sachen konfrontiert.
     Es ist unverzeihlich von mir.«
    »Martin.« Ich drängte ihn zurück, sah ihn eindringlich an. »Das zweite Opfer, es war eine junge Frau?«
    Er zögerte, nickte dann.
    »Kluge, Sonja Kluge?«
    »Ja. Sie wurde vor einigen Tagen auf einem Rastplatz an der A 61 gefunden. Ihre Leiche war so drapiert worden, dass sie gefunden
     werden musste, genauso wie das erste Opfer, das noch nicht identifiziert ist.«
    »Es gibt Übereinstimmungen zwischen den Fällen?«
    »Ja. Wieso?«
    »Und weshalb jetzt die OFA?«
    »Warum willst du das wissen, Conny?«
    »Beantworte einfach meine Frage.«
    »Die beiden Morde waren grausam, bestialisch. Ein Täter. Zwei Opfer. Aber wir finden keine Verbindung. Eigentlich analysieren
     wir den ersten Fall, den alten Mann. Ein zweites Team und auch die aktuellen Ermittlungen befassen sich mit der jungen Frau.
     Die Opfer haben keine Verbindung zueinander, sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Und doch ist der Täter derselbe.
     Warum willst du das wissen, Conny?«
    »Sonja Kluge.«
    »Ja, so hieß sie.«
    »Ich kannte sie.«
    »Was?«
    »Wie viele junge Frauen mit dem Namen und in dem Alter mag es hier in der Gegend geben? Ich kannte eine Sonja |40| Kluge. Ich habe sie behandelt während meines AIP im Alexianer, und später war sie noch einmal bei mir, als ich schon meine
     Praxis hatte. Es war ein schwieriger Fall, und wirklich geheilt war sie nicht. Heute Abend fiel der Name einmal. Ich werde
     ihn in meinem Unterbewusstsein gespeichert haben. Es hat eine Weile gedauert, bis die richtigen Synapsen die entsprechenden
     Verbindungen geknüpft hatten. Aber es hat mich nicht losgelassen, und nun weiß ich warum. Sie war meine Patientin.« Ich holte
     tief Luft. Schwieg dann. Holte wieder Luft, fast krampfhaft. »Und nun ist sie tot. Ermordet.«
    »Du kanntest sie?«, sagte Robert Kemper. Erschrocken fuhr ich herum, starrte ihn an. Er stand in der Tür, die Haare vom Schlaf
     zerzaust, das Gesicht verknittert, aber mit hellwachen Augen. »Entschuldigung. Ich wollte mir einen Schluck Wasser holen,
     habe dann Stimmen gehört.« Er ging einen Schritt zurück.
    »Ja, ich kannte sie. Falls es diese Sonja Kluge ist. Ein schwieriges Mädchen. Voller Phobien, Verlassensängste. Ein leichter
     Ansatz zur Schizophrenie.«
    Kemper trat wieder vor, hörte mir interessiert zu. »Was weißt du von ihr?«
    Ich räusperte mich.

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