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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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holte tief Luft. »Soll ich kommen?« Meine Eltern waren nach der Pensionierung meines Vaters in den Norden
     gezogen. Dort hatten sie sich ein Häuschen mit einer großen Streuobstwiese und einem schönen Gemüsegarten gekauft. Seit Jahren
     lebten sie glücklich dort. Natürlich hatte es mich bedrückt, dass sie wegzogen, aber ich konnte sie verstehen. Das Land dort
     oben war billiger, sie waren in Küstennähe, |82| und mein Vater konnte seinem Hobby, dem Segeln, frönen. Außerdem lebte meine Schwester auch dort.
    Schwierig waren immer nur solche Situationen. Sie lebten nicht mal eben um die Ecke, bei Krisen war es schwer, einzuspringen
     und zu helfen. Trotzdem kam ich nicht umhin zu fragen. »Soll ich kommen, Vati?«
    »Das wird nicht nötig sein. Jetzt jedenfalls nicht. Sie schläft viel. Du hättest eh nichts von ihr, wenn du kämst.«
    »Und was ist mit dir? Brauchst du mich?«
    Er zögerte. Ich hörte seinen Atem, wie er schluckte.
    »Ich komme, wenn du mich brauchst, Vati.«
    »Das weiß ich, mein Kind. Aber es wird nicht nötig sein. Ich bekomme das gut alleine hin vorerst, und Rita hilft mir ja auch.
     Mit der Wäsche, weißt du, das ist nicht so mein Ding. Aber ich kann es lernen. Ich werde es lernen.«
    Meine Schwester Henriette war fünf Jahre jünger als ich. Uns hatte nie viel verbunden. Bis auf wenige Pflichtbesuche und seltene
     telefonische Kontakte, in denen es meist um meine Eltern ging, beschränkte sich die Schwesternliebe auf Karten zu den Feier-
     und Geburtstagen. Henriette, die zwar so getauft, aber nie anders als Rita gerufen worden war, brach zwei Studiengänge ab,
     jobbte nun bei einer Werbeagentur. Ständig verliebte sie sich neu, doch die Beziehungen hielten nicht lange. Sie war immer
     unterwegs, war unzuverlässig und unbeständig. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Rita meinem Vater eine Hilfe sein würde.
    »Ist sie denn da?«, fragte ich ihn.
    »Nein, sie ist übers Wochenende mit ihrem Freund weggefahren. Ich habe sie noch nicht erreichen können.«
    Seufzend sah ich auf die Uhr. Selbst wenn ich jetzt losführe, würde ich nicht vor zwei Uhr nachts bei ihm sein.
    »Vati, soll ich nicht doch zu dir kommen?«
    Er zögerte. Vermutlich fühlte er sich gerade genauso hilflos und verlassen wie ich.
    »Nein«, sagte er dann. Seine Stimme klang müde. »Wir telefonieren morgen früh.«
    |83| »Du kannst mich jederzeit anrufen, immer.«
    Nachdem ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich auf einmal sehr müde und erschöpft.

[ Menü ]
    Kapitel 10
    »Magst du?« Robert reichte mir ein Glas Wein. »Falls ich das richtig in Erinnerung habe, trinkst du trockenen Weißwein. Ich
     hoffe, dieser hier schmeckt dir.«
    Ich nahm das Glas, trank einen Schluck, nickte dann. Immer noch hielt ich das Handy fest.
    »Du hast telefoniert, daher wollte ich nicht stören. Schlechte Nachrichten?« Er setzte sich neben mich.
    »Meine Mutter hatte einen Unfall.«
    »Schlimm?«
    »Wohl nicht allzu dramatisch, Schleudertrauma, vermutlich eine Gehirnerschütterung, gebrochene Rippen. Aber in ihrem Alter
     ist das schon ernstzunehmen. Außerdem ist mein Vater jetzt alleine.«
    »Willst du hinfahren?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Sie wohnen in der Nähe von Bremen.«
    »Tja, es ist nicht einfach, wenn die Eltern älter werden und man sich Sorgen machen muss.«
    »Stimmt. Ich geh mal kurz an die Luft.« Entschuldigend sah ich ihn an, er nickte.
    Auf der Terrasse saßen Julius und Thorsten und rauchten schweigend. Wir alle hatten wohl Bilder im Kopf, die Small Talk verhinderten.
     Ich ging ein Stück den Weg entlang durch die Felder. Plötzlich stellte ich fest, dass ich immer noch mein Handy festhielt.
     Ich drückte die Menütaste, schaute in das Telefonbuch. Sollte ich meinen Vater noch mal anrufen? Konnte ich ihn wirklich in
     dieser Situation alleine lassen? Mir fiel Sonjas |84| Vater ein. Er war schon bald nach dem Tod seiner Frau wieder auf Geschäftsreise gegangen, das Mädchen blieb alleine zurück,
     verstört, sicherlich auch verängstigt. Ich hatte seine Nummer im Telefonbuch. Spontan wählte ich, hörte das Freizeichen.
    »Ja? Kluge.« Die Stimme klang unruhig, gehetzt.
    »Herr Kluge? Mein Name ist Constanze van Aken, entschuldigen Sie die späte Störung.«
    »Wer sind Sie?« Er war irritiert.
    »Constanze van Aken. Ich war die Therapeutin Ihrer Tochter. Ich habe von Sonjas Tod erfahren und möchte Ihnen mein Beileid
     aussprechen.«
    »Therapeutin? Sonja war in Therapie?«
    »Es ist schon

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