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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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nie gefunden werden. Es wurde ein leichter, vorpubertärer schizophrener Schub
     vermutet. Dazu passten auch ihre immer steifer werdende Mimik und die sinkende Ausdrucksweise. Ein paar Wochen lang wurde
     sie stationär behandelt.« Ich nahm mir ein Glas Wasser. »Vor fünf Jahren starb ihre Mutter bei einem Autounfall. Sonjas Paranoia
     trat |75| wieder zutage. Sie kam zu mir in die Praxis, fühlte sich verfolgt und war der Meinung, ihre Mutter sei umgebracht worden.«
     Ich warf einen Blick in die Runde. Julius zog die Augenbrauen hoch. »Sie war auch der Ansicht, dass der Anschlag eigentlich
     ihr gegolten hatte. Sie kam drei Mal zu mir. Den vierten Termin nahm sie nicht mehr wahr.«
    »Ich habe mir den Unfallbericht schicken lassen«, fügte Robert hinzu. »Es deutet nichts auf einen Anschlag hin. Die Mutter
     hatte eines Nachts bei Regen die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und verunglückte tödlich. Es wurden keinerlei Manipulationen
     am Auto festgestellt.«
    »Und doch macht es nachdenklich.« Julius sah mich an. »Was für einen Eindruck hattest du von ihr, als sie zu dir kam?«
    Ich lehnte mich zurück. »Es ist fünf Jahre her. Ich muss mich zum größten Teil auf meine Notizen verlassen. Sie wirkte verängstigt,
     verwirrt. Sie trauerte um ihre Mutter, aber nicht in dem Maß, wie ich es erwartet hätte. Sie suchte ganz offensichtlich Hilfe,
     fühlte sich verfolgt. Ich hielt es für eine Neurose, vielleicht ein zweiter schizophrener Schub. Das konnte ich aber nie abklären.
     Es hat mich verwundert, dass sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr kam.«
    »Du hattest jedoch den Eindruck, es wäre Verfolgungswahn und keine echte Bedrohung?«
    »Für den Patienten ist die Bedrohung echt. Angstschweiß, Schlaflosigkeit, Unruhe, all das können Symptome sein. Sie konnte
     mir nicht erklären, wer sie verfolgte, vor wem sie Angst hatte. Möglicherweise war das alles nur Einbildung und ein Zeichen
     ihres psychischen Zustands. Da sie aber nun ermordet wurde, frage ich mich, ob nicht doch eine reale Bedrohung dahintersteckte.«
    »Vor fünf Jahren starb ihre Mutter, zu der sie eine enge Bindung hatte, könnte das nicht eine Psychose auslösen?«
    »Ja, das habe ich auch angenommen. Möglicherweise eben auch den schizophrenen Schub.«
    »Und doch ist es merkwürdig. Sie fühlte sich verfolgt, bedroht. |76| Ein paar Jahre später wird sie ermordet.« Robert Kemper strich sich über den Hinterkopf.
    »Wann wurde sie zuletzt gesehen? Wo hat der Täter ihr aufgelauert?«, fragte ich nachdenklich. Was ich eigentlich wissen wollte,
     fragte ich nicht. Wie lange war sie gefangen gehalten worden?
    »Das ist völlig unklar. Sie lebte bei ihrem Vater. Er war zu der Zeit auf Dienstreise und weiß nicht, wann sie das Haus verlassen
     hat. Freunde hat sie keine gehabt, und auch die Nachbarn haben sie nicht gesehen.«
    Das passte zu dem Mädchen, das ich kennengelernt hatte. Meine Hoffnung, dass sie sich gefangen und verändert hätte, zu einem
     ganz normalen Mädchen herangewachsen war, hatte sich nicht erfüllt.
    »Was machte sie denn beruflich?«
    »Sie holte das Abitur nach. Aber in der Schule war sie schon seit einigen Wochen nicht mehr gesehen worden.«
    »Also ist völlig unklar, wann und wo der Täter sie traf?«
    »Ja. Das macht unsere Aufgabe nicht einfacher. Hat er sie gezielt ausgewählt, oder war sie nur zu einem schlechten Zeitpunkt
     an einem schlechten Ort.« Robert Kemper streckte sich müde. »Nach deiner Auffassung war sie kein kontaktfreudiger Mensch?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es war erstaunlich, dass sie damals von sich aus und ganz alleine zu mir gekommen ist. Sie muss
     sehr verzweifelt gewesen sein, um diesen Schritt zu tun.«
    »Was ist eigentlich mit dem Vater?«, fragte Thorsten Schneider.
    »Er arbeitet für ein großes Unternehmen und ist viel im Ausland unterwegs.« Robert wühlte in den Unterlagen. »Ich habe nur
     kurz mit ihm gesprochen.«
    Ich erinnerte mich nicht wirklich an den Vater. Er war schon damals meistens auf Dienstreisen gewesen. Zu ein oder zwei Gesprächen
     kam er wohl ins Alexianer, aber der Hauptansprechpartner der Ärzte war die Mutter. Das war nichts Ungewöhnliches, mich wunderte
     nur, dass er den Job nicht gewechselt |77| hatte, nachdem seine Frau verunglückt war. Demnach war das verängstigte Mädchen auch als Teenager oft alleine gewesen.
    »Also kommen wir auch hier nicht weiter.« Robert seufzte. »Was haben wir, was können wir zu dem Tathergang sagen,

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