Lohn des Todes
hilft uns
der Fall aus Flensburg weiter, wenn wir uns mit ihm intensiver befassen? Sollten wir mal eine Tabelle zu den vier Phasen der
Verbrechen machen?«
»Vier Phasen?« Ich sah ihn fragend an.
»Erstens – der Tat vorausgehendes Verhalten. Zweitens – die Tötungshandlung. Drittens – Beseitigung der Leiche. Viertens –
Verhalten nach der Tat. Was wissen wir dazu?«
Martin stand auf, ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Verblüfft sahen wir ihm hinterher. Kurz darauf kam er wieder, stellte
ein großes Whiteboard, eine weiße Kunststofftafel, auf die Anrichte. Er nahm einen schwarzen Stift und unterteilte die Fläche
in drei Sektionen.
»Sektion eins – die tote Frau in Flensburg, Sektion zwei – der unbekannte Mann, Sektion drei – Sonja Kluge. Was haben wir
an Informationen? Die Details der Tötungen lassen wir außen vor.«
»Wir haben nichts zu dem der Tat vorausgehenden Verhalten«, sagte Thorsten.
»Das stimmt nicht. Bei Fall zwei und drei muss er einiges an Planung unternommen haben. Die Opfer wurden überwältigt, gefangen
gehalten, gefesselt. Entweder waren es zufällige Opfer, oder er hat sie vorher ausspioniert. In beiden Fällen ist es erstaunlich,
dass niemand etwas mitbekommen hat.« Ich sah in die Runde, die anderen nickten.
»Er muss ein Versteck haben, das abseits liegt oder gedämmt ist. Denn die Opfer wurden über Tage gefangen gehalten. Wenigstens
am Anfang werden sie geschrien oder um Hilfe gerufen haben. Später waren sie vielleicht zu geschwächt.«
»Nicht unbedingt«, warf Martin ein. »Vielleicht waren sie auch geknebelt. Das würde dann auch erklären, warum sie weder Nahrung
und nur wenig Flüssigkeit zu sich nehmen konnten.«
|78| »Waren denn Spuren von Knebeln an den Leichen zu erkennen?«
»Keine Klebereste, keine Hautverletzungen. Aber für Bondage gibt es Latexknebel, die sehr gut sitzen und kaum Spuren hinterlassen.
Bei Sonja waren drei Schneidezähne gelockert, das könnte ein Zeichen dafür sein, muss es aber nicht. Er hat sie auch oral
vergewaltigt und eventuell auch ins Gesicht geschlagen.«
»Sie wurden gefangen gehalten. Über Tage. Das wird er vermutlich nicht in einer Erdgeschosswohnung an einer belebten Straße
gemacht haben. Also hat er ein Versteck. Ein Haus, das ihm gehört oder das er angemietet hat, einen Schuppen, eine Garage
in einer entlegenen Gegend. Es war also eine gewisse Vorbereitung notwendig. Fesselmaterial musste bereitgelegt werden, eventuell
Messer oder Rasierklingen.«
Martin trug ein paar Stichworte in die Tabelle ein.
»Bei dem Fall aus Flensburg sieht es anders aus. Es ist natürlich schwierig zu beurteilen, weil es so lange her ist, wir nur
die Berichte haben, niemand das Opfer und den Tatort gesehen hat.« Robert strich sich wieder über den Hinterkopf. »Aber in
meinen Augen scheint es so, als sei die Tat deutlich schlechter geplant gewesen.«
»Das Gefühl habe ich auch. Er ist in die Wohnung eingedrungen, das Fenster neben der Haustür war eingeschlagen. Dabei hat
er Fingerabdrücke hinterlassen. Er hat die Frau überfallen, vermutlich niedergeschlagen, aber sie hat sich gewehrt.« Martin
zog den Bericht heran, tippte mit dem Finger darauf. »Sie hatte Verletzungen an den Händen und Unterarmen, Blut und Hautspuren
unter den Fingernägeln.«
»Die Kollegen gingen davon aus, dass er das Opfer gepackt hatte, sie wehrte sich entschieden, hat vermutlich auch geschrien.
Daraufhin hat er ihr die Kehle durchgeschnitten. Auf sehr brutale Art. Dann hat er ihr den Rock hochgeschoben und sie vergewaltigt.
Er hat sich im Bad gesäubert und die Wohnung verlassen. Geraubt wurde nichts.«
»Er muss doch entsetzt gewesen sein«, sagte ich leise.
|79| »Wieso?«, wollte Julius wissen.
»Wegen des Blutes. Es war arterielles Blut, es ist durch die ganze Küche gespritzt, vermutlich war er ziemlich besudelt«,
erklärte Martin. »Das erklärt auch die riesige Lache um die Tote. Das Herz pumpt noch, pumpt das Blut in großen Strömen aus
dem Körper für kurze Zeit. Ich denke da genau wie Constanze, er wird nicht damit gerechnet haben, vor allem, weil er von vorne
angegriffen hat. Das ist recht ungewöhnlich bei einem solchen Schnitt.«
»Das ist richtig. Er muss ihr mit der linken Hand in die Haare gegriffen und den Kopf nach hinten gezogen haben und hat dann
von links nach rechts die Kehle durchgeschnitten. Dafür brauchte er Kraft. Die Kollegen schätzten ihn auf mindestens ein Meter
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