Lokale Erschuetterung
dich wiederzusehen nach so langen Wochen. Er schmeißt seine Tasche auf den Rücksitz und setzt sich ins Auto. Hanns spürt, dass auch in ihm eine kleine Freude wächst. Für diesen Moment, diesen einen kurzen Moment. Er klopft Daniel auf die Schulter und fährt los. Wir bringen erst mal deine Sachen zu mir, und dann schauen wir weiter.
|298| Zeig mir vorher noch die Redaktion, bittet Daniel.
Willst du das wirklich? Ein langweiliges Büro sehen?
Daniel nickt, also fahren sie zuerst dorthin. Nur noch Irene Paulsen ist da. Daniel erobert sie mit vier Sätzen. Der liebe Junge, denkt Hanns, alle Weiber mögen diese netten Schwuchteln, die über Gott und die Welt reden können und gar nicht wissen, wie man jemandem auf die Zehen tritt.
Wollen Sie länger bleiben, fragt Irene Paulsen, und Daniel schüttelt den Kopf.
Bis übermorgen, dann muss ich wieder in Berlin sein. Aber vielleicht sehen wir uns morgen noch mal. Ich schaute gern mal zu, wie in einer Redaktion gearbeitet wird.
Du Schleimer, nichts wirst du. Hanns zieht Daniel von der Paulsen weg und sagt, sie müssten jetzt los und alles andere könne ja später geklärt werden.
Die ist aber nett, sagt Daniel, als sie wieder im Auto sitzen.
Ist sie, aber wahrscheinlich nicht mehr lange. Ich bin kurz davor, sie zur Weißglut zu treiben.
Immer noch so wütend, fragt Daniel und öffnet das Seitenfenster einen Spalt. Darauf bekommt er keine Antwort. Wozu auch, es liegt ja auf der Hand, dass die alte Wut geblieben ist. Wohin sollte die auch hier in Frankenburg verschwunden sein?
In der Wohnung sitzen sie sich zwanzig Minuten später am Küchentisch gegenüber wie zwei Fremde. Wissen nicht, worüber reden. Als sei schon alles gesagt mit den Dasistabereinehübschewohnung-Sätzen. Hanns fragt, ob er Kaffee kochen oder ein Bier aufmachen soll.
Kaffee wäre nicht schlecht.
Also kocht er Kaffee für den Jungen, den er gleich aus den Schuhen heben wird, noch bevor sie die Wohnung für den wahrscheinlich obligatorischen Rundgang durch |299| Frankenburg verlassen werden. Kocht Kaffee, stellt für Daniel Tasse, Milch und Zucker auf den Tisch, holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, erinnert sich noch, dass im Schrank eine Packung Aldi-Kekse liegt. Holt die auch, schüttet die Kekse in eine weiße Schale und setzt sich wieder hin.
Ich muss dir was erzählen, sagt er.
Und dann erzählt er die ganze Geschichte. Fast die ganze Geschichte. Veronikas Leidensweg. Mit ihm hat das im Moment nichts zu tun. So fühlt es sich an. Ihm kann das alles scheißegal sein. Er sitzt nur hier, um Daniel eine Geschichte zu erzählen. Der hört zu und sagt kein Wort. Reißt nur hin und wieder die Augen auf, trinkt von seinem Kaffee, isst Kekse und schaut zu, wie sich sein Gegenüber abmüht.
In die Fresse hauen könnte ich ihm, denkt Hanns und redet weiter, als hielte ihn nur das Reden davon ab. Wir haben uns da in etwas reingesteigert, Veronika und ich, denkt er zwischendurch auch und drückt diesen Gedanken sofort in irgendeinen schlammigen Abgrund seines Hirns.
Und nun, spricht er den letzten Satz seiner Erzählung aus, glaubt Veronika zu wissen, wer ihr Sohn ist.
Dann schweigt er und schaut zu, wie Daniel innehält. Wie er die Tasse, die er gerade zum Mund führen wollte, zurückstellt und ein Stück mit dem Stuhl vom Tisch wegrückt. Wie er sich einen Kekskrümel von der Lippe wischt und ihn dann ins Haar schmiert, durch das er sich mit der gleichen Hand fährt. Hanns sieht in jeder kleinen Bewegung einen Beweis für Veronikas These. Da gegenüber sitzt das Kind seiner Frau. Überlegt jetzt wahrscheinlich gerade, wie er sich verhalten soll und warum sie ihm auf die Schliche gekommen sind. Daniel schaut Hanns an, und der denkt: Jetzt weiß ich, an wen du mich |300| immer erinnert hast, du kleiner Wichser. Bist deiner Mutter zwar nicht aus dem Gesicht geschnitten, aber ich erkenne dich trotzdem.
Wer, fragt Daniel.
Du, sagt Hanns.
Ich, fragt Daniel.
Du, sagt Hanns.
Daniel rückt noch ein Stück mit dem Stuhl vom Tisch weg.
Wie kommt deine Frau darauf?
Das muss ich dir doch nicht erzählen.
Doch. Erzähl es mir.
Und Hanns erzählt. Nennt alle Indizien, die sich in ihrer beider Köpfe, in Veronikas und seinem, zu Beweisen verdichtet haben. Und als er fertig ist, sagt dieses Bürschchen, das ihm gegenübersitzt: Das sind doch alles keine Beweise, Hanns. Das sind nur Gefühle. Und vielleicht ist es ein Wunsch.
Ich, sagt Hanns und beugt sich weit über den Tisch. Ich wünsche mir
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