Lokale Erschuetterung
der Woche ein Bier trinken oder ins Kino gehen? Will er dann Taschengeld vom Stiefvater haben oder einen Kredit? Um sich mit irgendeiner bescheuerten Idee selbständig machen zu können? Soll ich mit dem über Weiber reden, ihm raten, wovon er die Finger lassen muss, und erzählen, was ihn voranbringen wird? Stellt sich Veronika das so vor? Will sie aus mir endgültig einen Jammerlappen machen, einen Versager? Einen, der nur tote Kinder gemacht hat und dafür ein Kuckucksei ins Nest gelegt bekommt?
Hanns startet das Auto und wendet mit quietschenden Reifen. Das macht man in der Kleinstadt so, um zu beweisen, dass man kein Zombie ist, sondern lebt. Alle Lebensbeweise hier sind mit Lautstärke verbunden. Man grölt nachts auf den Plätzen, lässt Autos und Motorräder |293| röhren, steht vor Imbissbuden und gibt lauthals gequirlte Scheiße von sich, tönt in Ratsversammlungen und abends noch lauter im Ratskeller, ruft sich über die Straße hinweg Nachrichten über private Befindlichkeiten zu, klatscht und tratscht, dass alle mithören können, ob sie wollen oder nicht. Er wird da keine Ausnahme bilden. Laut sein kann er auch. Hanns dreht den CD-Spieler auf und fährt ins Krankenhaus, brüllt um die Wette mit Black Sabbath. Paranoid ist eindeutig sein Lieblingsalbum, was wissen die Hühner hier im Dorf schon von guter Musik. Die hören nur Jauche, Zeugs eben.
Im Krankenhaus wird Hanns ruhig. Vielleicht sollte ich hierbleiben, denkt er. Wenn es mich beruhigt, ist das vielleicht der passende Ort für mich. Er macht sich zuerst auf den Weg zu Tornemann, um zu schauen, wie es dem armen Säufer geht. Besser, wie es scheint. Tornemann guckt schon etwas lebendiger aus der Wäsche und sieht aus, als sehnte er sich nach einem Drink.
Ich hör nicht auf zu saufen, sagt er, als die Begrüßungsformeln und Befindlichkeitsfragen überstanden sind. Das Leben ist scheiße ohne Alkohol, meine Frau nicht anzusehen, ganz zu schweigen von meiner Tochter. Ich hör nicht auf zu saufen, das brächte mich nur um, ein Leben ohne Alkohol. Können Sie mir was besorgen?
Hanns nickt und verspricht, in einer Viertelstunde wiederzukommen. Fährt mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss, geht in den kleinen Supermarkt, der praktischerweise gegenüber des Krankenhauses steht, kauft eine Flasche Nordhäuser Doppelkorn, weil man hier im Osten ist und dieses Zeug alte Vertrautheit schafft. Tornemanns Hände zittern leicht, aber er hat noch alles im Griff, als er die Flasche öffnet, einen Schluck nimmt und den doppelten Korn dann in seinem Nachttisch verschwinden lässt. Danke, sagt er.
|294| Bist ein guter Kumpel, muss er jetzt noch sagen, denkt Hanns.
Sie sind ein verständnisvoller Mensch, kommt stattdessen. Damit stellt der Nachbar klar, zu welcher Kategorie Säufer er gehört. Zivilisiert und gebildet. Entschuldigt sich wahrscheinlich höflich, bevor er einem ins Handschuhfach kotzt. Hanns winkt einen Abschiedsgruß. Man sieht sich wieder. Sie können ja bei mir klingeln, wenn Ihre Frau wieder prügelt. Ich lasse Sie rein.
Besser, ich lerne zurückzuschlagen, sagt Tornemann und lächelt zum Abschied.
Als Trinker habe ich jedes Recht der Welt.
Hanns nickt und geht. Sucht die Kantine für Angestellte des Krankenhauses und setzt sich dort an einen Tisch, an dem drei Menschen ihren Kaffee trinken und Doughnuts aus der Schachtel essen. Geht es direkt an und fragt, ob sie was Neues über die Krankenschwester wissen, gegen die wegen Mordes ermittelt wird.
Wer sind Sie denn, fragt die Frau, die Hanns gegenübersitzt.
Hanns Grabowski, ich arbeite für die Frankenburger Rundschau.
Besser, Sie gehen zur Pressesprecherin, sagt der Mann rechts neben der Frau, von dem Hanns vermutet, dass es ein Pfleger ist.
Mach ich auch noch, aber vielleicht können Sie mir ja etwas sagen.
Gibt’s dafür Geld, will der Pfleger wissen, und Hanns schüttelt den Kopf.
Die Frau stößt ihren Kollegen in die Rippen und versucht, empört auszusehen.
Lass den Quatsch, sagt sie, und zu Hanns gewandt: Unsere Kollegin hat niemanden umgebracht. Hier wollen einfach ein paar Angehörige Stunk machen und vielleicht |295| ein bisschen Geld abkassieren. Das erleben wir andauernd. Die lassen ihre Mütter und Väter erst in Heimen verrotten. Und wenn die dann mit einem Dekubitus, so groß wie ein Tischfußballspiel, hergebracht werden, entwässert und halb verrückt, wenn sie uns dann unter den Fingern wegsterben, werden die wach, die braven Söhne und lieben Töchter. Sind plötzlich
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