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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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kann er mit Vroni besprechen. Kannst du mir den Schlüssel dalassen? Dann zeige ich meiner Frau nachher die Wohnung.
    Ist die hier, wundert sich der Berg. Die hättest du doch mitbringen können.
    Hanns schweigt und geht ins Bad. Dusche und Wanne, das ist schon Luxus, findet er. Ich werde mir ein Brett besorgen, das man über die Wanne legen kann. Fürs Bier und die Zeitung von morgen. Er klopft Moltke auf die Schulter und sagt: Die ist nett, die Wohnung. Danke, dass du dich drum gekümmert hast.
    Moltke lächelt. Dann gehen wir jetzt gleich noch mal in die Redaktion, und du unterschreibst den Mietvertrag. Hab ich mich nämlich auch drum gekümmert.
    Was wirst du eigentlich machen, wenn du nicht mehr arbeitest, will Hanns wissen.
    Drei, vier Monate schau ich mir noch an, ob du mit allem klarkommst. Dann hau ich hier ab.
    Du gehst?
    Hab mir ein kleines Haus in Ungarn gekauft. Am Balaton. Also fast am Balaton. Da ziehen wir hin. Meine Frau und ich. Die Tochter ist schon dort. Lebt in Budapest und ist mit einem ungarischen Ingenieur verheiratet.
    |141| Sprichst du Ungarisch?
    Leidlich, aber ich hab dann ja unendlich Zeit, es richtig zu lernen. Obwohl das wirklich eine unmögliche Sprache ist.
    Die Rechten wirst du in Ungarn nicht los, sagt Hanns und lacht. Fragt sich, warum er jetzt ausgerechnet das sagt. Als ob es inzwischen nicht egal ist, wohin man geht.
    Moltke nickt und dreht sich um. Die hat man überall, sagt er. Es sei denn, du entscheidest dich dafür, in irgendein arschkaltes Land zu ziehen. Aber das will man ja auch nicht.
    Hanns geht noch einmal mit in die Redaktion, unterschreibt den Mietvertrag, redet kurz mit Irene Paulsen und läuft dann los, um Veronika von der Langeweile zu erlösen.

|142| 13. Kapitel
    Veronika verschiebt das Treffen mit Martin Wagemut. Sie will zu ihrem Vater. Vor allen anderen Dingen, die sie tun möchte und muss, will sie in das Kaff fahren, in dem ihr Vater lebt, und mit ihm reden. Nur er kann ihr weiterhelfen. Ihr ist nichts in den Kopf gekommen, was sich glaubhaft anhört. Nicht einmal die Anmutung einer Idee. Aber sie muss mit Hanns reden. Über die Briefe.
    Die letzte Begegnung mit ihrem Vater ist zwei Jahre her. Es gibt keinen guten Grund, warum sie den Mann so selten sieht. Sie mag ihn, er hat ihr nichts Böses getan. Aber seitdem die Mutter verschwunden ist, von einem Tag auf den anderen aus ihrem Leben und dem ihres Vaters geworfen, ist das Band lose und dünn. Auch wenn der Vater Sehnsucht nach ihr zu verspüren scheint. Seine Briefe erzählen zwischen den Zeilen davon. Letztes Jahr hatte er Veronika zu Weihnachten ein Päckchen geschickt, das Fotos enthielt. Familienbilder, verstaubt und anrührend zugleich.
    Auf einem Foto steht sie zwischen ihren Eltern und trägt ein weißes langes Kleid und eine Krone aus weißer Pappe auf dem Kopf. Sie war eine Königin, eine weiße Königin. Figur eines großen Schachturniers, das einmal im Jahr in der Kleinstadt veranstaltet wurde. Schach haben sie dort alle gespielt. Alle, die noch halbwegs geradeaus denken konnten. Das war Volkssport in der Dreitausendseelenstadt. Veronika erinnerte sich beim Anblick des Fotos, dass sie drei Jahre gebraucht hatte, um beim |143| Spiel mit lebenden Figuren die Königin sein zu dürfen. Bis dahin war sie Bauer oder Springer. Springer zu sein auf dem großen Brett aus Quadraten, die mit weißer und schwarzer Farbe auf einen asphaltierten Parkplatz gemalt wurden, war gar nicht so einfach. Sie erinnerte sich auch daran, dass sie an dem Tag, da sie endlich Königin sein durfte, krank wurde und Fieber bekam. Und dass sie sich, anstatt etwas zu sagen, am Tablettenvorrat ihrer Mutter bediente. Drei rosafarbene Dragees nahm sie, die sahen am schönsten aus und hießen Radepur. Seltsam, wie dieses kleine Schwarzweißbild all die Erinnerungen wiederbrachte. Wie sie sich als kleines Mädchen, gerade mal neun Jahre, in ihrem weißen Königinnenkleid zum Spiel schleppte. Sie war die Königin des Trainers, und der eröffnete die Partie mit Damengambit. Vielleicht ihr zuliebe, schließlich war sie sein hoffnungsvollstes Talent in der Trainingsgruppe. Und sie war todmüde von den Schlaftabletten der Mutter und vom Fieber. Nach dem zehnten Zug fiel sie einfach um. Stürzte auf G4, riss noch zwei Bauern mit, Mädchen aus der vierten Klasse waren das, und schlief ein. Zwei Tage hatte es gedauert, bis sie wieder richtig wach wurde, und ihre Eltern bekamen Ärger wegen der Tabletten. Irgendjemand hatte gemeint, wer

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