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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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sich Schützenverein, Philatelisten, Frankenburger Kulturverein und Karnevalsverein, hier ist die Stadtbibliothek, das dort die Lieblingskneipe der Stadtväter. Und -mütter. Da sitzen die Agrarsoziale Gesellschaft und die Kreis-CDU. Gericht, Gymnasium, Wohnheim für Behinderte, Lebenshilfe, Kirche, gute Orgel, schlechter Organist, Bikerkneipe.
    Wirklich, sagt Hanns, Karneval. Hier?
    Moltke nickt. Das ist die neue Zeit, Grabowski. Wir machen hier Party zu Halloween, Blumenmarkt zum Muttertag, Kinderfest am 3. Oktober, Lampionumzug am Martinstag. Und wir feiern Karneval. Fasching ist vorbei.
    |138| Hanns weiß, was Moltke meint. Mag sein, dass die Westdeutschen hier immer noch schlechte Karten haben. Brauchtum und Scheibenkleister hat man allemal von ihnen übernommen. Vor einem asiatischen Imbiss steht eine martialische Truppe junger Männer.
    Sind das die Ortsglatzen, fragt Hanns und sieht, wie Moltke das Gesicht verzieht.
    Kleine Truppe, aber nicht ohne Schlagkraft. Hier haben eine ganze Menge Leute Angst vor denen, Grabowski. Drei sitzen im Kreistag und in der Stadtverordnetenversammlung. Nicht die hier, die sind zu doof. Können nicht mal Hitler richtig schreiben. Aber es gibt noch andere. Ein paar jedenfalls.
    Moltke legt Hanns eine Hand auf die Schulter. Die ist schwer und weich. Mir haben sie mal die Scheiben eingeschmissen. Die Scheiben von der Redaktion. Weil ich was geschrieben hatte. Na ja. Solltest du dir noch überlegen, ob du darauf Lust hast. Man kann es auch lassen. Interessiert hier sowieso niemanden.
    Hanns nickt und starrt auf die Jungs vor dem Imbiss. Hat ihn schon immer fasziniert. Dass die sich als Treffpunkt meist einen asiatischen oder in Berlin auch gern mal türkischen Imbiss suchen. Und dass die Vietnamesen oder Türken keine Angst haben, wenn die Typen Tag für Tag bei ihnen Einkehr halten.
    Wo treffen die sich denn sonst?
    Moltke sieht überraschenderweise ein bisschen verlegen aus. Zeig ich dir gleich. Die Kneipe liegt neben deiner Wohnung. Da sind sie, wenn sie nicht auf dem Bahnhofsvorplatz rumhängen.
    Als ob das schon meine Wohnung ist, denkt Hanns und wird ein bisschen wütend. Ich hab das Teil doch noch gar nicht gesehen.
    Wir können uns ja erst mal die Wohnung anschauen, |139| sagt Moltke, als ahnte er, was in seinem Nachfolger vorgeht. Sind nur fünf Minuten von hier. Ernst-Thälmann-Straße 24. Schöne Adresse, was?
    Findet Hanns nicht, aber egal. Sie laufen in die Thälmannstraße, und die sieht aus wie die zehntausend weiteren Thälmannstraßen, die es im Osten wahrscheinlich noch gibt. Langweilig und ein bisschen traurig. An Sonntagen werde ich hier meine Freude haben, denkt Hanns und muss grinsen. Sonntags wird er arbeiten, wenn alles nach Plan läuft. Fast immer. Da finden hier doch die Partys statt und die kulturellen Höhepunkte. Da muss er präsent sein und seine Zeilen schreiben. Außerdem wird hier wahrscheinlich am Sonntag Fußball gespielt. Wie überall. 1. FC Lok Frankenburg. Die sind in der Kreisliga. Oder es findet der traditionelle Wald- und Wiesenlauf statt.
    Spielt die Jugend Fußball, fragt er den Berg. Und der nickt.
    Aber auch Floorball. Kennst du das? So ’ne Art Hockey. Ich schick da immer einen Freien hin, versteh vom Sport so viel wie meine Frau vom Jagen. Aber für Sport gibt es immer ausreichend Freie, die sich an den Sonntagen vergnügen und drei Euro verdienen wollen.
    Fußball mach ich selbst, sagt Hanns. Kreisliga ist genau mein Fall.
    Das wird Jensen nicht freuen, murmelt der Berg. Aber mach, wie du denkst. Du bist ein neuer Besen und darfst erst mal kehren, wie du willst.
    Moltke kramt einen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Wie der da noch reingepasst hat, ist Hanns schleierhaft. Das Haus Thälmannstraße 24 ist nicht sonderlich schön, macht aber drinnen einen guten Eindruck. Die Wohnung liegt im zweiten Stock. Hanns mag es zwar nicht zugeben, aber sie gefällt ihm. Nur Küche und Bad |140| gehen nach vorne raus, die beiden Zimmer zum Hof, der eigentlich ein Garten ist. Jedenfalls kann man ziemlich weit gucken.
    Ist doch Süden oder, fragt Hanns, und Moltke nickt.
    Ruhig, hell und grün, wie es sich für eine Kleinstadt gehört. Alles andere wäre doch albern.
    Das findet Hanns auch, aber es gibt nach dieser Lesart sicher eine Menge alberne Wohnungen hier in Frankenburg. Die hier aber ist passend und hübsch. Er wird sich das kleine Zimmer zum Schlafen und Arbeiten einrichten und das größere zum Essen und Fernsehen. So in der Art. Das

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