Lolita (German)
in den schmuddeligen Tüll der Gardine gehüllt, eine Weile am Fenster und hörte mit kindlichem Vergnügen und unverwandt einem Leierkastenmann unten im dämmrigen Hinterhof zu. Als ich ihre kleinen Hände besah und sie auf ihre unsauberen Fingernägel aufmerksam machte, sagte sie mit naivem Stirnrunzeln: «Oui, ce rfestpas bien», und ging zum Waschbecken; aber ich sagte, es mache nichts, mache gar nichts. Mit ihrem braunen Pagenkopf, den leuchtenden grauen Augen und der blassen Haut sah sie einfach bezaubernd aus. Ihre Hüften waren nicht breiter als die eines hockenden Jungen; wirklich, ich habe keine Bedenken zu sagen (und dies ist der eigentliche Grund, warum ich so dankbar mit der kleinen Monique in dem gazegrauen Zimmer der Erinnerung verweile), daß unter den etwa achtzig grues, die sich an mir zu betätigen hatten, sie die einzige war, die mir-den Schauer echter Lust verschaffte. «Il était malin, celui qui a inventé ce truc-là» , sagte sie liebenswürdig und schlüpfte mit der gleichen stilvollen Schnelligkeit wieder in ihre Kleider.
Ich schlug eine zweite, gründlichere Zusammenkunft später am Abend vor, und sie sagte, sie werde mich um neun im Eckcafé erwarten, und beteuerte, sie habe in ihrem ganzen jungen Leben noch nie posé un lapin. Wir gingen wieder in dasselbe Zimmer, und ich konnte nicht unterlassen, ihr zu sagen, wie hübsch sie sei, worauf sie wohlerzogen antwortete: «Tu es bien gentil de dire ça», und dann, als sie im Spiegel, der unser kleines Eden zurückwarf, bemerkte, was auch ich bemerkte - die schauerliche Grimasse einer verbissenen Zärtlichkeit, die meinen Mund verzerrte -, wollte die pflichtgetreue kleine Monique (ach, sie war gewiß ein Nymphchen gewesen) wissen, ob sie das Lippenrot abwischen solle, avant qu'on se couche, falls ich die Absicht hätte, sie zu küssen. Natürlich hatte ich die Absicht. Mit ihr ließ ich mich viel mehr gehen als mit irgendeiner der jungen Damen vor ihr, und das letzte Bild der langbewimperten Monique an diesem Abend ist belebt von einer Fröhlichkeit, die sonst kaum eine Begebenheit meines demütigenden, elenden, verschwiegenen Liebeslebens besaß. Sie strahlte vor Freude über den Bonus von fünfzig, den ich ihr gab, als sie in die nieselnde Aprilnacht hinaustrottete und Humbert Humbert hinter ihrem schmalen Rücken her humbelte. Vor einem Schaufenster blieb sie stehen und sagte mit großem Behagen: «Je vais m'acheter des bas!» , und ich werde nie vergessen, wie ihre Pariser Kinderlippen bei dem Wort «bas» explodierten und es mit solchem Appetit aussprachen, daß sein «a» beinahe wie ein kurzes, lustiges, berstendes «o» klang.
Ich hatte für den nächsten Tag um Viertel nach zwei eine Verabredung mit ihr in meiner Wohnung, aber diese verlief weniger befriedigend; über Nacht schien sie erwachsener geworden, mehr Frau. Eine Erkältung, die ich mir bei ihr geholt hatte, veranlaßte mich, die vierte Verabredung abzusagen, und es tat mir auch nicht leid, eine Serie von Gemütsbewegungen abzubrechen, die mich mit herzzerreißenden Phantasien zu belasten drohte und in öder Enttäuschung versickern mußte. Die geschmeidige, schmale Monique mag bleiben, was sie ein paar Minuten lang gewesen ist: ein verderbtes Nymphchen, das durch das tüchtige Hürchen hindurch zu erkennen war.
Meine kurze Bekanntschaft mit ihr gab Anlaß zu Gedankengängen, die dem Leser, der sich auskennt, ziemlich naheliegend scheinen müssen. Eine Annonce in einer anrüchigen Zeitschrift führte mich eines Tages in das Büro von Mademoiselle Edith, die mir als erstes anbot, aus einer Sammlung ziemlich konventioneller Photos in einem ziemlich schmierigen Album eine verwandte Seele herauszusuchen («Regardez-moi cette belle brune!»). Als ich das Album beiseite schob und es irgendwie zustande brachte, mit meinen kriminellen Wünschen herauszurücken, sah sie aus, als wolle sie mir die Tür weisen; als sie mich aber gefragt hatte, welche Summe ich anzulegen bereit sei, ließ sie sich dazu herbei, mich mit einer Person in Verbindung zu setzen, qui pourrait arranger la chose. Am nächsten Tag führte mich eine asthmatische, grobgeschminkte, geschwätzige, knoblauchimprägnierte Frau mit einem fast possenhaft provenzalischen Akzent und einem schwarzen Schnurrbart über violett geschminkten Lippen in eine Wohnung, die allem Anschein nach ihre eigene war, und nachdem sie schmatzend die gebündelten Spitzen ihrer fetten Finger geküßt hatte, um auf die köstliche
Weitere Kostenlose Bücher