Lolita (German)
war einfach ihr Stil -und ich fiel darauf herein. In Wirklichkeit war sie wenigstens hoch in den Zwanzigern (ich konnte ihr genaues Alter nie feststellen, da selbst ihr Paß log), und ihre Jungfernschaft war ihr unter Umständen abhanden gekommen, die nach den Launen ihrer Erinnerung wechselten. Ich meinerseits war so naiv, wie nur ein Pervertierter es sein kann, Sie sah aus, als wäre sie leichtes Spiel und immer zu Streichen aufgelegt, zog sich ä la gamine an, ließ reichlich viel glattes Bein sehen, verstand, die Weiße eines nackten Spanns durch das Schwarz eines Samtpantoffels zur Geltung zu bringen, und schmollte und machte Grübchen und tollte und dirndelte und schüttelte ihr kurzes lockiges Blondhaar, wie man es sich drolliger und platter nicht vorstellen kann.
Nach einer kurzen Zeremonie auf der Mairie brachte ich sie in die neue Wohnung, die ich gemietet hatte, und ließ sie, ehe ich sie anrührte, ein wenig zu ihrer Verwunderung das schlichte Kleinmädchennachthemd anziehen, das aus dem Wäscheschrank eines Waisenhauses zu stibitzen mir gelungen war. Die Hochzeitsnacht machte mir einigen Spaß, und bei Sonnenaufgang hatte ich die Idiotin so weit, daß sie hysterische Zustände bekam. Doch bald bekam die Wirklichkeit wie-der die Oberhand. Die gebleichte Locke offenbarte ihre Melaninwurzel; der Flaum auf dem rasierten Schienbein wurde zu Stacheln; der bewegliche feuchte Mund, so sehr ich ihn auch mit Liebe stopfte, enthüllte seine schmähliche Ähnlichkeit mit dem entsprechenden Teil auf einem hochverehrten Portrait ihrer krötenhaften, toten Mama; und bald hatte Humbert Humbert statt eines blassen kleinen Gassenmädchens eine große, aufgedunsene, kurzbeinige, dickbrüstige und so gut wie hirnlose baba auf dem Hals.
Diese Sachlage währte von 1935 bis 1939. Das einzige Gute an Valeria war ihre Sanftmütigkeit, die dazu beitrug, eine merkwürdige Art von Behaglichkeit in unserer armseligen kleinen Wohnung aufkommen zu lassen: zwei Zimmer, ein dunstiges Panorama in dem einen und eine Ziegelmauer in dem anderen Fenster, eine winzige Küche, eine schuhförmige Badewanne, in der ich mich wie Marat fühlte, nur daß es keine Maid mit weißem Halse gab, mich zu erdolchen. Wir verbrachten eine ganze Reihe gemütlicher Abende zusammen, sie in ihren Paris-Soir vertieft, ich an einem wackligen Tisch bei der Arbeit. Wir gingen ins Kino, zu Radrennen und Boxkämpfen. Ich erhob sehr selten, nur in Fällen großer Dringlichkeit und Verzweiflung, Anspruch auf ihr schales Fleisch. Der Kolonialwarenhändler gegenüber hatte eine kleine Tochter, deren Schatten mich verrückt machte; aber mit Valerias Hilfe fand ich schließlich doch ein paar legale Auswege aus meiner phantastischen Bedrängnis. Was das Kochen betrifft, so hatten wir wortlos den pot-au-feu abgeschafft und aßen meistens in der Rue Bonaparte, in einem überfüllten
Lokal mit Weinflecken auf dem Tischtuch und viel Geschwätz in fremden Zungen. Und nebenan stellte ein Kunsthändler in seinem vollgestopften Schaufenster einen herrlichen alten amerikanischen Druck in glühenden Farben aus: grün, rot, gold und tintenblau - eine Lokomotive mit riesigem Schornstein, großen bizarren Scheinwerfern und einem gewaltigen Kuhfänger, die ihre malvenfarbenen Waggons durch die stürmische Prärienacht zog und eine Menge funkenstiebenden schwarzen Rauches unter die pelzigen Gewitterwolken mischte.
Sie barsten. Im Sommer 1939 starb mon oncle d'Amérique und hinterließ mir eine Jahresrente von ein paar tausend Dollar unter der Bedingung, daß ich in die Staaten übersiedele und mich ein wenig mit seinem Geschäft befasse. Diese Aussicht war mir höchst willkommen. Ich fühlte, daß mein Leben eine Aufrüttelung nötig hatte. Es kam noch etwas hinzu: daß im Plüsch unserer ehelichen Gemütlichkeit Mottenlöcher aufgetaucht waren. In den letzten Wochen hatte ich wiederholt bemerkt, daß meine dicke Valeria nicht wie sonst war; eine sonderbare Ruhelosigkeit war über sie gekommen; manchmal legte sie gar eine Art Gereiztheit an den Tag, die gar nicht zu der Rolle paßte, die sie darzustellen hatte. Als ich ihr mitteilte, daß wir nächstens nach New York fahren würden, sah sie bekümmert und nachdenklich aus. Langwierige Schwierigkeiten mit ihren Papieren hielten uns hin. Sie hatte einen Nansen- oder besser Nonsens-Paß, den aus irgendwelchen Gründen nicht einmal die Verbindung mit der soliden Schweizer Staatsbürgerschaft ihres Ehegatten zu transzendieren vermochte;
Weitere Kostenlose Bücher