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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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mit, daß meine Stieftochter gerade einen hochbegabten jungen Bergbau ingenieur mit einem streng geheimen Regierungsauftrag im Nordwesten geheiratet habe, Sie sagte, sie sei gegen solche frühen Ehen, sie ließe nie zu, daß Phyllis, die jetzt achtzehn sei...
    «Aber ja doch, natürlich», sagte ich ruhig. «Ich erinnere mich an Phyllis, Phyllis und Camp Q. Ja, natürlich. Hat sie Ihnen übrigens je erzählt, wie Charlie Holmes damals die kleinen Pflegebefohlenen seiner Mutter verführt hat?»
    Mrs. Chatfields bereits angeschlagenes Lächeln ging vollends in die Brüche.
    «Schämen Sie sich», rief sie, «schämen Sie sich, Mr. Humbert! Der arme Junge ist gerade in Korea gefallen. »
    Ich fragte, ob sie nicht fände, daß das französische vient de mit dem Infinitiv kürzlich stattgefundene Geschehnisse so viel genauer zum Ausdruck bringe, als «gerade» mit dem Perfekt. Aber ich müsse weiter, sagte ich.
    Windmullers Büro lag nur zwei Straßen entfernt. Er begrüßte mich mit einem sehr langen, sehr umschließenden, kräftigen, forschenden Händedruck. Er hätte mich in Kalifornien geglaubt. Hätte ich nicht eine Zeitlang in Beardsley gewohnt? Seine Tochter habe gerade angefangen, am Beardsley-College zu studieren. Und wie ging es... ? Ich gab alle erforderlichen Auskünfte über Mrs. Schiller. Wir hatten eine angenehme Geschäftsunterredung. Als zufriedener Habenichts trat ich in die heiße Septembersonne hinaus.
    Jetzt, da alles aus dem Weg geräumt war, konnte ich mich frei dem Hauptzweck meines Besuchs in Rams-dale widmen. In der systematischen Art, deren ich mich immer rühmen durfte, hatte ich Cläre Quiltys Gesicht maskiert in meinem finsteren Verlies bewahrt, wo er darauf wartete, daß ich in Begleitung von Priester und Barbier käme: «Reveillez-vous, Laqueue, il est temps de mourir!» Ich habe jetzt keine Zeit, zu erörtern, wie sich Physiognomien ins Gedächtnis eingraben - ich bin auf dem Weg zu seinem Onkel und gehe schnell -, aber lassen Sie mich soviel notieren: Im Spiritus eines umwölkten Gedächtnisses hatte ich ein krötenhaftes Gesicht konserviert. Bei den wenigen Malen, die ich ihn flüchtig zu sehen bekommen hatte, war mir eine entfernte Ähnlichkeit mit einem fröhlichen und ziemlich abstoßenden Weinhändler aufgefallen, einem Schweizer Verwandten von mir. Mit seinen blödsinnigen Hanteln, dem stinkigen Trikot, den behaarten Wabbelarmen, der kleinen Glatze und seiner schweinsgesichtigen Dienstmädchenkonkubine war er im großen und ganzen ein harmloser alter Wicht. Zu harmlos jedenfalls, um mit meinem Wild verwechselt zu werden. In dem Geisteszustand, in dem ich mich jetzt befand, hatte ich Trapps Bild aus dem Auge verloren. Es war völlig in dem Gesicht Cläre Quiltys aufgegangen - wie es eine gerahmte Photographie, die auf dem Schreibtisch seines Onkels stand, mit künstlerischer Genauigkeit darstellte.
    In Beardsley hatte ich mich unter den Händen des charmanten Dr. Molnar einer ziemlich ernsten Zahnbehandlung unterzogen, bei der mir nur ein paar untere und obere Vorderzähne verblieben waren. Der Zahnersatz, der die Lücken füllte, hing an einem System von Plastikplatten mit unauffälligen Drahtverbindungen, die am Gaumen entlangliefen. Das Ganze war ein Meisterwerk der Bequemlichkeit, und meine Eckzähne waren vollkommen gesund. Um aber meinen geheimen Zweck mit einem einleuchtenden Vorwand zu drapieren, sagte ich Dr. Quilty, ich hätte beschlossen, mir alle Zähne ziehen zu lassen, in der Hoffnung, daß es meine Gesichtsneuralgien lindern werde. Was wohl ein komplettes Gebiß kosten würde? Wie lange würde die Prozedur dauern, angenommen, wir machten den ersten Termin im November? Wo halte sein berühmter Neffe sich denn zur Zeit auf? Wäre es möglich, sie alle in einer dramatischen Sitzung herauszureißen?
    Ein weißbekittelter, grauhaariger Mann mit Bürstenhaarschnitt und den großen flachen Backen eines Politikers, so hockte Dr. Quilty auf der Ecke seines Schreibtisches und wippte träumerisch und verführerisch mit einem Fuß, während er mir seinen glorreichen Langzeitplan auseinandersetzte. Erst würde er mich mit einem provisorischen Gebiß versehen, bis das Zahnfleisch sich gefestigt hätte. Dann würde er mir eine endgültige Prothese anfertigen. Er würde gern einmal in meinen Mund sehen. Er trug zweifarbige Schuhe mit einem Lochmuster an den Spitzen. Er habe den Schlingel seit 1946 nicht besucht, nehme aber an, daß er in der Familienresidenz an der Grimm Road, nicht

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