Lolita (German)
verabscheuungswürdig und brutal und verworfen und vieles mehr, maisje t'ai-mais,je t'aimais! Und es gab Zeiten, in denen ich wußte, wie dir zumute war, und es war die Hölle, es zu wissen, meine Kleine. Lolita Kind, tapfere Dolly Schiller.
Ich entsinne mich gewisser Augenblicke, nennen wir sie Eisberge im Paradies, in denen ich, nachdem ich mich an ihr sattgeliebt hatte - nach phantastischen, wahnwitzigen Strapazen, die mich erschlafft und mit himmelblauen Streifen über dem Körper zurückließen-, sie mit einem stummen Stöhnen endlich doch noch menschlicher Zärtlichkeit in die Arme nahm (ihre Haut schimmernd im Neonlicht, das vom gepflasterten Motelhof durch die Jalousiespalten hereindrang, ihre rußschwar-zen Wimpern verfilzt, die ernsten grauen Augen teilnahmsloser denn je - ganz und gar eine kleine Patientin, die nach schwerer Operation noch nicht ganz aus der Narkose erwacht ist) -, und die Zärtlichkeit vertiefte sich zu Scham und Verzweiflung, und ich lullte und wiegte meine leichte, einsame Lolita in meinen Mar-morarmen ein, vergrub mein Gesicht schnurrend in ihr warmes Haar, streichelte sie blindlings, bat sie stumm um ihren Segen - und auf dem Gipfel dieser menschlichen, qualvollen, selbstlosen Zärtlichkeit (da meine Seele über ihrer Nacktheit hing und bereit war zu bereuen) schwoll plötzlich, höhnisch, entsetzlich die Begierde von neuem - und Lolita sagte mit zum Himmel erhobenen Augen seufzend «Ogottogott», und im nächsten Augenblick sank alles, Zärtlichkeit und Bläue, in Trümmer.
Die um die Jahrhundertmitte grassierenden Vorstellungen über Vater-Tochter-Beziehungen sind stark von dem scholastischen Hokuspokus und den standardisierten Symbolen des Psychoanalyse-Rackets eingefärbt, aber ich hoffe, mich an unvoreingenommene Leser zu wenden. Als eines Tages Avis' Vater draußen gehupt hatte, um anzuzeigen, daß Pappi da sei, sein Püppi abzuholen, fühlte ich mich verpflichtet, ihn ins Wohnzimmer zu bitten, und er nahm für einen Augenblick Platz, und Avis, ein plumpes, reizloses, liebevolles Mädchen, schmiegte sich an ihn, während wir Konversation machten, und hockte sich schließlich schwer auf seine Knie. Jetzt weiß ich nicht, ob ich erwähnt habe, daß Lolita für Fremde immer ein bezauberndes Lächeln hatte, ein zartes, flauschiges Schlitzen der Augen, ein träumerisches, süßes Strahlen all ihrer Züge, das natürlich nichts bedeutete, aber so schön, so gewinnend war, daß es einem schwerfiel, etwas so Süßes als einen Atavismus zu erklären, das Werk eines bloßen Zauber-Gens, welches ihr Gesicht einem alten Willkommensritus zuliebe erhellte - Gastfreundschaftsprostitution, könnte ein gröberer Leser sagen. Gut also, da stand sie, während Mr. Byrd seinen Hut hin und her drehte und redete, und... ja, sehen Sie nur, wie dumm von mir, das Hauptmerkmal von Lolitas berühmtem Lächeln habe ich ausgelassen, nämlich: wenn diese zarte, nektarsüße, von Grübchen übersäte Helligkeit ihr Spiel trieb, war sie nie auf den anwesenden Fremden gerichtet, sondern schwebte sozusagen in ihrer eigenen, fernen, blühenden Leere oder wanderte mit kurzsichtiger Sanftheit über irgendwelche zufälligen Gegenstände dahin - und genau dies geschah jetzt: Als die dicke Avis sich an ihren Papa drängte, strahlte Lolita sanft ein Obstmesser an, mit dem sie (meilenweit von mir entfernt) dort an der Tischkante, an die sie sich lehnte, herumhantierte. Während sich Avis an Hals und Ohr ihres Vaters klammerte und der Mann gewohnheitsmäßig den Arm um seinen rundlichen, großgeratenen Sprößling legte, sah ich Lolitas Lächeln verlöschen und zu dem gefrorenen kleinen Schatten seiner selbst werden; das Obstmesser glitt vom Tisch und traf sie mit seinem Silbergriff zufällig so schmerzhaft am Knöchel, daß sie aufstöhnte, sich nach vorne krümmte, auf einem Fuß hüpfte, das Gesicht zu der erbärmlichen Grimasse verzogen, die Kinder so lange beibehalten, bis die Tränen fließen, und dann lief sie hinaus - gefolgt und in der Küche getröstet von der guten Avis, die so einen wunderbaren dicken rosa Pappi hatte und einen stämmigen kleinen Bruder und ein nagelneues Schwesterchen und ein Zuhause und zwei grinsende Hunde, und Lolita hatte nichts, Und ich habe ein hübsches Gegenstück zu dieser kleinen Szene - auch sie in einem Beardsleyer Dekor, Lolita, die nah beim Feuer gelesen hatte, rekelte sich und fragte mit erhobenen Ellbogen und einem Grunzen: «Wo ist sie eigentlich begraben?» - «Wer?»
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