Lolita (German)
wieder ihr Spielzeug aus dem Gitterbettchen geworfen, nur damit die arme Mutter es wieder aufheben mußte, das gemeine kleine Ding! Jetzt, mit zwölf, sei sie die reine Pest, sagte die Haze. Sie träume nur davon, eines Tages bei Sportumzügen den Tambourstock und die Beine zu schwingen oder eine Swingfee zu werden. Ihre Zeugnisse seien erbärmlich, aber sie käme in der Schule hier besser klar als in Pisky. (Pisky im Mittelwesten war die Heimatstadt der Hazes. Das Haus in Ramsdale hatte ihrer verstorbenen Schwiegermutter gehört. Sie waren vor nicht ganz zwei Jahren nach Ramsdale gezogen.) «Warum war sie dort denn unglücklich?» - «Oh», sagte die Haze, «ich Ärmste weiß Bescheid; als ich so klein war, habe ich das alles auch durchgemacht: Jungens, die einem den Arm verrenken, einen mit Bücherstapeln im Arm anrempeln; einen an den Haaren ziepen, an den Brüsten weh tun, den Rock hochheben. Natürlich ist Launenhaftigkeit eine normale Begleiterscheinung des Heranwachsens, aber Lo übertreibt. Verbockt und verlogen. Frech und unverschämt. Hat sie doch Viola, eine italienische Schulkameradin, mit einem Füllfederhalter in den Po gestochen. Wissen Sie, was ich möchte? Wenn Sie, Monsieur, im Herbst noch hier sein sollten, daß Sie ihr bei den Hausaufgaben helfen - ich habe den Eindruck, daß Sie alles können, Geographie, Mathematik, Französisch.» - «Oh, alles», antwortete Monsieur. «Das heißt», sagte die Haze schnell, «daß Sie hier sein werden. » Am liebsten hätte ich hinausgeschrien, daß ich ewig bliebe, wenn ich nur hoffen könnte, meine versprochene Schülerin hin und wieder zu liebkosen. Aber ich nahm mich vor der Haze in acht. Ich grunzte also nur und reckte nicht-begleiterscheinungshaft (le mot juste) die Glieder und ging bald hinauf in mein Zimmer. Das Weib aber war sichtlich noch nicht bereit, es für heute gut sein zu lassen. Ich lag bereits auf meinem kalten Bett und preßte mit beiden Händen Lolitas duftenden Geist an mein Gesicht, als ich die unermüdliche Dame des Hauses auf leisen Sohlen an meine Tür schleichen und flüstern hörte, sie wüßte gern, ob ich mit dem Heft von Quick und Quack, das ich neulich geborgt hätte, fertig sei. Von ihrem Zimmer aus brüllte Lolita, sie habe es. Wir sind die reinste Leihbibliothek hier im Haus, weiß der Teufel.
Freitag. Ich wüßte gern, was mein Universitätsverlag sagte, wenn ich in meinem Unterrichts werk Ronsards «vermeillette fente» anführte oder Remy Belleaus «petit mont feutré de mousse délicate, tracé sur le milieu d'un fillet escarlatte» und so fort. Wahrscheinlich werde ich wieder einen Zusammenbruch bekommen, wenn ich länger in diesem Hause bleibe, unter dem Zwang dieser unerträglichen Versuchung an der Seite meiner Geliebten -mein Lieb, mein Leben in bräutlicher Pracht. Hat Mutter Natur sie bereits in die Mysterien der Menarche eingeweiht? Das Gefühl des Aufgeblähtseins. Der Fluch der Iren. Vom Dach fallen. Großmama ist zu Besuch.
«Herr Uterus [ich zitiere aus einer Zeitschrift für junge Mädchen] fängt an, den dicken weichen Schutzwall für den Fall aufzubauen, daß vielleicht ein Baby dort unten gebettet werden muß.» Der winzige Verrückte in seiner Gummizelle.
Nebenbei bemerkt: wenn ich je ernstlich einen Mord begehen sollte... Beachten Sie das «Wenn». Der Drang müßte schon mehr sein als das, was ich damals bei Waleria verspürte. Ich bitte genau zu beachten, daß ich damals recht unbeholfen war. Wenn Sie beschlossen haben oder beschließen sollten, mich auf dem elektrischen Stuhl zu Tode zu brutzeln, so denken Sie daran, daß ich nur in einem Anfall von geistiger Umnachtung jemals die primitive Energie aufbrächte, mich wie ein wildes Tier aufzuführen [alles dies vielleicht erst jetzt hinzugefügt]. Manchmal versuche ich im Traum zu morden. Aber wissen Sie, was dann geschieht? Zum Beispiel habe ich eine Pistole in der Hand. Zum Beispiel ziele ich auf einen teilnahmslosen, mich mit ruhigem Interesse beobachtenden Feind. O ja, ich drücke wohl ab, aber eine Kugel nach der anderen kullert matt aus der blöden Mündung auf den Boden herab. In solchen Träumen ist mein einziger Gedanke, das Fiasko vor meinem Gegner zu verbergen, der allmählich ärgerlich wird.
Heute beim Abendessen sagte die alte Giftschlange mit einem auf Lolita gerichteten Seitenblick mütterlicher Neckerei (ich hatte in scherzhaftem Ton gerade den entzückenden Zahnbürstenbart geschildert, den wachsen zu lassen ich noch nicht ganz
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