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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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ihren Stakkatoton machen hören; und noch haben meine Hörzilien keine Schritte vom Badezimmer zurück in ihr Zimmer vermeldet. Putzt sie sich noch immer die Zähne (die einzige hygienische Maßnahme, der sich Lo mit wirklichem Eifer hingibt)? Nein. Eben wurde die Badezimmertür zugeknallt, so daß man den Fühler nach der schönen, warmgetönten Beute anderswo im Hause ausstrecken muß. Soll also ein Seidenstrang die Treppe hinab gelegt werden. Mit seiner Hilfe vergewissere ich mich, daß sie nicht in der Küche ist - nicht die Kühlschranktür zuschlägt, nicht die verhaßte Mama ankreischt (die, vermute ich, das dritte säuselnde und gedämpft heitere Telephongespräch dieses Morgens genießt). Also nicht rasten, weiter tasten. Strahlartig gleite ich in Gedanken ins Wohnzimmer und finde das Radio still (und Mama immer noch im Gespräch mit Mrs. Chatfield oderMrs. Hamilton, sehr sanft, gerötet, lächelnd, mit der freien Hand das Sprechrohr abdeckend, leugnet sie indirekt, daß sie die drolligen Gerüchte leugne, nimmermehr der Zimmerherr, flüstert vertraulich, so wie sie es, ganz und gar Dame, im Gespräch Auge in Auge nie tut). Also ist mein Nymphchen gar nicht im Haus! Ausgeflogen! Was ich für ein buntschillerndes Gewebe hielt, erweist sich als altes, graues Spinnennetz, das Haus ist leer, ist tot. Aber dann dringt Lolitas süßes, weiches Gekicher durch meine halboffene Tür. «Sagen Sie es Mama nicht, aber ich habe Ihren ganzen Speck aufgegessen.» Fort, als ich aus dem Zimmer stürze. Lolita, wo bist du? Mein Frühstückstablett, von der Dame des Hauses liebevoll bereitet, feixt mich zahnlos an und wartet darauf, hereingeholt zu werden. Lola! Lolita!
    Dienstag. Wieder verhinderten Wolken das Picknick an jenem unerreichbaren See. Intrigiert das Schicksal? Gestern probierte ich vor dem Spiegel eine neue Badehose an.  Mittwoch. Nachmittags sagt mir die Haze (praktisches Schuhwerk, Schneiderkostüm), sie fahre in die  Stadt, um ein Geschenk für die Freundin einer ihrer Freundinnen auszusuchen, und ob ich bitte mitkommen würde, bei Stoffen und Parfüms hätte ich ja einen so wunderbaren Geschmack. «Wählen Sie, was Ihnen besonders verlockend vorkommt», schnurrte sie. Was konnte Humbert, der in der Parfumbranche war, tun? Sie hielt mich eingekeilt zwischen der Vorderveranda und ihrem Wagen. «Kommen Sie rasch», sagte sie, als ich meinen großen Körper mühsam zusammenfaltete, um hineinzukriechen (immer noch verzweifelt auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit). Sie hatte den Motor angelassen und fluchte damenhaft über einen rückwärts wendenden Lieferwagen vor uns, der für die kränkliche alte Miss Visavis gerade einen nagelneuen Rollstuhl gebracht hatte, als die schrille Stimme meiner Lolita aus dem Wohnzimmerfenster schrie: «He! Wo wollt ihr hin? Wartet, ich komme mit!» - «Hören Sie nicht hin», kreischte die Haze (und würgte den Motor ab); zum Pech für meine holde Fahrerin riß Lo nämlich bereits an der Tür auf meiner Seite. «Das ist nicht zum Aushalten», fing die Haze an; aber Lolita war schon wonnebebend hereingeklettert. «Schieben Sie Ihr Hinterteil etwas beiseite, Sie», sagte Lo. «Lo!» rief die Haze (Seitenblick auf mich in der Hoffnung, ich würde die freche Lo hinauswerfen). «And behold», sagte Lo (nicht zum ersten Mal), als sie zurückfiel, als ich zurückfiel, als der Wagen anruckte. «Es ist wirklich nicht zum Aushalten», sagte die Haze und legte heftig den zweiten Gang ein, «daß ein Kind so schlechte Manieren hat. Und so aufdringlich ist. Wo sie doch weiß, daß sie unerwünscht ist. Und mal baden müßte.»
    Meine Fingergelenke lagen an Los Bluejeans. Sie war barfuß; an ihren Fußnägeln waren Reste von kirschrotem Lack, und auf ihrer großen Zehe klebte ein Streifen Heftpflaster; und großer Gott, was hätte ich darum gegeben, diese zartknochigen, langzehigen Äffchenfüße auf der Stelle zu küssen! Plötzlich schlüpfte ihre Hand in die meine, und ohne daß unsere Anstandsdame etwas merkte, hielt ich ihre heiße kleine Pfote, streichelte und drückte sie auf dem ganzen Weg bis zum Laden. Die Flügel der marlenischen Nase unserer Chauffeuse glänzten, da ihre Puderration entweder verstäubt oder aufgezehrt war, und ungeachtet des städtischen Straßenverkehrs hielt sie einen fashionablen Monolog im Gange, lächelte im Profil und schmollte im Profil und klimperte mit ihren geschwärzten Wimpern im Profil, während ich den Himmel bat, daß wir nie zu dem Laden

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