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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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die zarte kleine Heldin eines Frauenromans. Was mich verrückt macht, ist das zwiespältige Wesen dieses Nymphchens - jedes Nymphchens vielleicht; diese Mischung aus zarter, träumerischer Kindlichkeit und einer Art spukhafter Ordinärheit; sie stammt aus der stupsnasigen Niedlichkeit von Anzeigenphotos und Illustriertenbildern, aus der verwaschenen Rosigkeit halbwüchsiger Stubenmädchen in der Alten Welt (die nach zerquetschten Gänseblümchen und Schweiß riechen) und von den sehr jungen Hürchen, die in Provinzbordellen als Kinder verkleidet werden; und das alles vermengt sich mit der köstlichen, makellosen Zartheit, die durch Moschus und Müll, durch Trübsal und Tod hindurchschimmert, o Gott, o Gott! Und das Allererstaunlichste ist, daß sie, diese Lolita, meine Lolita, das antike Gelüst des Schreibenden individualisiert hat, so daß über allem und jedem nur sie existiert - Lolita.
    Mittwoch. «Sorgen Sie mal dafür, daß Mama morgen mit Ihnen und mir zum Our-Glass-See fährt.» Genau diese Worte flüsterte meine zwölfjährige Flamme mir wollüstig zu, als wir zufällig im Hauseingang aufeinanderprallten, ich von drinnen, sie von draußen. Der Reflex der Nachmittagssonne, ein blendend-weißer Diamant mit tausend irisierenden Stacheln, zitterte auf dem runden Buckel eines geparkten Autos. Das mächtige Laubwerk einer mächtigen Ulme warf einen weichen, spielenden Schatten auf die Holzverschalung der Hauswand. Zwei Pappeln schwankten und zitterten. Man konnte die verworrenen Geräusche fernen Straßenverkehrs hören; ein Kind rief: «Nancy, Nan-cy!» Im Haus hatte Lolita ihre Lieblingsplatte aufgelegt: Little Carmen, die ich «Zwergschaffner» nannte, ein Pseudowitz, auf den sie mit Pseudohohnlachen reagierte.
    Donnerstag. Gestern abend saßen wir auf der Piazza, die Hazin, Lolita und ich. Die warme Dämmerung hatte sich zu romantischer Dunkelheit verdichtet. Die blöde Kuh war gerade damit fertig, mir in allen Einzelheiten die Handlung eines Films zu erzählen, den sie und L. irgendwann im Winter gesehen hatten. Der Boxer war schrecklich tief gesunken, als er dem guten alten Priester begegnete (der in der Blüte seiner Jugend selber Boxer gewesen war und einen Sünder noch immer auf die Bretter strecken konnte). Wir hatten uns Kissen untergelegt und hockten auf dem Fußboden, und L. saß zwischen dem Weibsbild und mir (es hatte sich unaufgefordert zwischen uns gedrängelt, das Raubtier)unge). Ich meinerseits stürzte mich in einen heiteren Bericht über meine arktischen Abenteuer. Die Muse der Erfin-dung reichte mir eine Büchse, und ich schoß einen Eisbären, der sich hinsetzte und «Hach» sagte, Die ganze Zeit war mir L.s Nähe bewußt, und beim Sprechen gestikulierte ich im gütigen Schutz der Dunkelheit und benützte meine unsichtbaren Gesten dazu, ihre Hand, ihre Schulter und eine Ballerinapuppe aus Wolle und Gaze zu berühren, mit der sie spielte und die sie mir immer wieder auf die Knie schubste; als ich schließlich meinen glühenden Liebling ganz und gar in dies Netz ätherischer Liebkosungen verwickelt hatte, wagte ich es, am Stachelbeerflaum ihres Schienbeins entlangzu-streicheln, und ich gluckerte über meine eigenen Scherze und zitterte und verbarg mein Zittern, und ein-oder zweimal, als ich ihr eine rasche, kuschelige, spaßhafte Nebenbemerkung zuteil werden ließ und dabei ihr Spielzeug liebkoste, fing ich mit geschwinden Lippen die Wärme ihres Haares auf. Sie selber zappelte auch viel hin und her, so daß ihre Mutter schließlich schroff sagte, sie solle das sein lassen, und ihre Puppe ins Dunkel schleuderte - und ich lachte und wandte mich über Los Beine hinweg an die Haze, um dabei meine Hand den dünnen Rücken meines Nymphchens hinaufgleiten zu lassen und unter dem Jungenhemd ihre Haut zu fühlen,  Aber ich wußte, alles war hoffnungslos, und ich war krank vor Sehnsucht und fühlte mich beengt in meinen Kleidern und war beinah froh, als die ruhige Stimme ihrer Mutter in der Dunkelheit verkündete: «Und jetzt finden wir alle, daß Lo zu Bett gehen sollte,» - «Ich finde euch stinkgemein», sagte Lo. «Das heißt, es wird morgen kein Picknick geben», sagte die Haze. «Wir leben in einem freien Land», sagte Lo. Als die wütende Lo mit einem verachtungsvollen Laut des Erbrechens gegangen war, blieb ich aus schierer Trägheit, indes die Haze die zehnte Zigarette des Abends rauchte und sich über Lo beklagte.
    Bereits mit einem Jahr, bitte sehr, sei sie bockig gewesen, habe immer

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