Lolita (German)
schickt; dann, lieber Leser, ist die Hochzeit im allgemeinen eine «stille». Die Braut darf auf den Kranz aus Orangenblüten verzichten, der den kurzen Schleier hält, und trägt auch keine weiße Orchidee im Gebetbuch. Die kleine Tochter der Braut hätte den Zeremonien, die H. mit H. verbanden, einen leuchtenden Purpurton hinzugefügt; doch ich wußte, ich würde es noch nicht wagen, allzu zärtlich zu der in die Enge getriebenen Lolita zu sein, und stimmte daher zu, daß es sich nicht lohne, das Kind aus seinem geliebten Camp Q herauszureißen.
Meine soi-disant leidenschaftliche und einsame Charlotte war im Alltag sachlich und gesellig. Außerdem entdeckte ich, daß sie, auch wenn sie ihre Herzensaufwallungen im täglichen Leben und ihre Schreie auf dem Liebeslager nicht beherrschen konnte, eine Frau mit Grundsätzen war. Gleich nachdem sie mehr oder weniger meine Geliebte geworden war (trotz der Anregungsmittel hatte ihr «nervöser, gieriger chéri» - ein heroischer chéri - einige anfängliche Schwierigkeiten, für die er sie mit einem phantastischen Aufwand an europäischen Koseworten indessen reichlich entschädigte), interviewte mich die gute Charlotte über meine Beziehungen zum Herrgott. Ich hätte antworten können, daß ich da keine Vorurteile hätte; statt dessen sagte ich - und zollte damit einer frommen Banalität meinen Tribut -, ich glaubte an einen beseelten Kosmos. Sie fragte mich auch, und sah dabei auf ihre Fingernägel, ob vielleicht ein Einschlag fremden Bluts in meiner Familie sei. Ich stellte die Gegenfrage, ob sie mich auch dann heiraten würde, wenn der Großvater meines Vaters mütterlicherseits, sagen wir mal, Türke gewesen wäre. Sie sagte, es mache ihr nicht das geringste; fände sie aber jemals heraus, daß ich nicht an Unsern Christlichen Herrgott glaubte, dann nähme sie sich das Leben. Sie sagte es so feierlich, daß es mir kalt über den Rücken lief. Und da wußte ich, sie war eine Frau mit Grundsätzen.
Oh, sie war eine höchst wohlerzogene Kleinbürgerin: Sie sagte «Pardon», sooft das leiseste Aufstoßen ihren Redefluß unterbrach, nannte einen Briefumschlag ein «Kuhwehr» und sprach in Unterhaltungen mit be-freundeten Damen von mir als von Mr. Humbert. Ich dachte, es würde ihr Vergnügen machen, wenn ich bei meinem Eintritt in ihren Kreis etwas Glanz mitbrächte. An unserem Hochzeitstag erschien ein kleines Interview mit mir in der Gesellschaftsrubrik des Ramsdaler Journal mit einer Photographie von Charlotte: eine Augenbraue hochgezogen und einen Druckfehler im Namen («Hazer»), Trotz dieser kleinen Panne erfreute die Publizität ihr porzellanenes Herz, und meine Rassel klapperte schadenfroh. Durch ihre kirchlichen Aktivitäten und weil sie die Bekanntschaft der bessergestellten Mütter von Los Mitschülerinnen gemacht hatte, war es Charlotte im Laufe von etwa zwanzig Monaten gelungen, wenn auch kein prominentes, so doch ein annehmbares Gemeindemitglied zu werden, aber noch nie war sie in der aufregenden Gesellschaftsspalte vorgekommen, und jetzt hatte ich sie dorthin befördert, Mr. Edgar H. Humbert (das «Edgar» hatte ich aus purem Jux hinzugefügt), «Schriftsteller und Forschungsreisender». Als er sich die Notizen machte, fragte mich McCoos Bruder, was ich geschrieben hätte. Was ich auch geantwortet haben mag, er gab es als «mehrere Bücher über Peacock, Rainbow und andere Dichter» wieder. Es stand auch da, daß Charlotte und ich uns schon seit mehreren Jahren kannten und ich ein entfernter Verwandter ihres ersten Mannes sei. Ich ließ durchblicken, sie und ich hätten vor dreizehn Jahren eine Liebesaffaire gehabt, aber das wurde im Druck nicht erwähnt. Charlotte sagte ich, Gesellschaftskolumnen erhielten erst durch irrige Angaben ihren Glanz.
Aber weiter mit dieser kuriosen Geschichte. Als ich aufgefordert war, meine Beförderung vom Haus- zum Bettgenossen zu genießen, empfand ich da nur Bitterkeit und Abscheu? Mitnichten. Mr. Humbert bekennt, daß es seine Eitelkeit in gewisser Weise kitzelte, daß er einen Anflug von Zärtlichkeit verspürte, sogar eine Art von Gewissensbiß, der delikat an der Klinge seines Verschwörerdolchs entlanglief. Nie hätte ich gedacht, daß die recht lächerliche, wenn auch recht hübsche Mrs. Haze mit ihrem blinden Vertrauen in die Weisheit ihrer Kirche und ihres Buchclubs, ihrer gezierten Sprechweise, ihrer schroffen, kalten, verachtungsvollen Haltung gegenüber einem anbetungswürdigen und nur mit Flaum bewehrten
Weitere Kostenlose Bücher