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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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miteinander auskämen. Wir sprachen über die Schule. Sie hatte Nachteile, und sie hatte Vorzüge. «Natürlich», sagte John, «unter den Geschäftsleuten hier sind zu viele Italiener. Andererseits ist es uns vorläufig erspart geblieben, lauter ...» - «Ich wünschte», unterbrach Jean und lachte, «Dolly und Rosaline verbrächten den Sommer zusammen.» Plötzlich stellte ich mir Lo vor: vom Camp zurück, braun, warm, schläfrig, betäubt-und vor Leidenschaft und Ungeduld hätte ich schluchzen mögen.

19
    Ein paar Worte noch über Mrs. Humbert, solange alles so gut geht (recht bald schon wird es zu einem schlimmen Unfall kommen). Mir war immer der besitzerische Zug an ihr aufgefallen, aber ich hätte nie gemeint, daß sie so wahnsinnig eifersüchtig auf alles in meinem Leben wäre, was nicht sie war. Sie legte eine wilde, unstillbare Neugier auf meine Vergangenheit an den Tag. Sie verlangte, daß ich alle Frauen ausgrub, die ich in meinem Leben geliebt hatte, damit sie mich dazu bringen konnte, sie vor ihr zu beschimpfen, auf ihnen herumzutrampeln, mich von ihnen abtrünnig und endgültig loszusagen und so meine Vergangenheit auszulöschen. Ich mußte ihr von meiner Ehe mit Valeria erzählen, die natürlich «zum Schreien» war; aber ich mußte auch eine lange Reihe von Affairen erfinden oder mächtig aufbauschen, damit sie sich schadenfroh an ihnen weiden konnte. Um sie glücklich zu machen, mußte ich ihr einen illustrierten Katalog von ihnen unterbreiten, alle hübsch voneinander unterschieden, nach den Regeln jener amerikanischen Anzeigen, auf denen Schulkinder in einem fein abgestimmtem rassischen Verhältnis abgebildet sind, mit einem - einem einzigen, aber unschlagbar niedlichen - schokoladenbraunen, kuller-äugigen Knirps fast genau in der Mitte der ersten Reihe. In dieser Weise stellte ich ihr meine Frauen dar und ließ sie lächeln und sich wiegen wie zur Musterung im Bordell - die schmachtende Blondine, die feurige Dunkelhaarige, der sinnliche Rotschopf. Je volkstümlicher und platter ich sie machte, desto mehr Gefallen fand Mrs. Humbert an der Schau.
    Nie im Leben hatte ich so viel gebeichtet und so viele Beichten entgegengenommen. Die Aufrichtigkeit und Arglosigkeit, mit der sie über das sprach, was sie ihr «Liebesleben» nannte, vom ersten Knutschen bis zum ehelichen catch as catch can, standen ethisch in auffälligem Gegensatz zu meinen fixen Kompositionen, aber technisch waren die beiden Serien eng verwandt, denn beide waren sie von dem gleichen Zeug beeinflußt (Radio-Melodramen, Psychoanalyse und Heftromane), dem ich meine Gestalten entnahm und sie ihre Sprache. Gewisse eigentümliche Sexualgewohnheiten, die der gute Harold Haze nach Aussage von Charlotte, die meine Heiterkeit für unangebracht hielt, gehabt hatte, amüsierten mich beträchtlich; aber sonst war ihre Autobiographie so uninteressant, wie ihre Autopsie es gewesen wäre. Ich habe nie eine gesündere Frau gesehen als sie, trotz der Schlankheitsdiät.
    Von meiner Lolita sprach sie selten - seltener in der Tat als von dem verschwommenen blonden, männlichen  Baby, dessen Photographie unter Ausschluß aller anderen unser kahles Schlafzimmer zierte. In einer ihrer geschmacklosen Träumereien beliebte sie vorauszusagen, daß die Seele des toten Säuglings in Gestalt des Kindes zur Erde zurückkehren werde, das sie in ihrem jetzigen Ehestand zu gebären gedächte. Und wenn ich auch keinen besonderen Drang verspürte, die Humbert-Linie mit einem Abklatsch des Haroldschen Fabrikats fortzusetzen (ich hatte mich daran gewöhnt, Lolita mit inzestuösem Wonneschauer als mein Kind zu betrachten), kam mir der Gedanke, daß ein in die Länge gezogenes Wochenbett mit einem hübschen Kaiserschnitt und anderen Komplikationen in einer sicheren Entbindungsanstalt mir nächstes Frühjahr Gelegenheit geben könnte, vielleicht wochenlang mit meiner Lolita allein zu sein - und das wachliegende Nymphchen mit Schlaftabletten zu füttern.
    Oh, sie haßte ihre Tochter geradezu! Was ich besonders gemein fand, war die Mühe, die sie sich gegeben hatte, gewissenhaft die Fragebogen eines in Chicago erschienenen blödsinnigen Buches (Die Entwicklung deines Kindes-Ein Ratgeber) zu beantworten. Der Mumpitz war jahresweise aufgeteilt, und Mammi sollte an jedem Geburtstag ihres Kindes eine Art Bestandsaufnahme machen. An Los zwölftem Geburtstag, am i. Januar 1947, hatte Charlotte Haze, geborene Becker, unter der Rubrik «Die Persönlichkeit deines Kindes» folgende

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