Lolita (German)
zwölfjährigen Kind zu solch einem rührenden, hilflosen Geschöpf werden könne, sobald ich Hand an sie legte, wie es auf der Schwelle zu Los Zimmer geschah, in das sie zitternd zurückwich, wobei sie unaufhörlich wiederholte: «Nein, nein, bitte nicht.»
Die Veränderung kam ihrem Aussehen zustatten. Ihr Lächeln, das so künstlich gewesen war, wurde zum Strahlen höchster Anbetung, einem Strahlen, das etwas Weiches und Feuchtes hatte und in dem ich staunend eine Ähnlichkeit mit dem entzückenden, leeren, verlorenen Blick Los erkannte, wenn sie sich in der Milchbar an einer neuen Sirupmixtur weidete oder stumm meine eleganten, immer frisch gebügelten Anzüge bewunderte. Fasziniert beobachtete ich Charlotte, wenn sie elterliche Wehwehs mit einer anderen Dame austauschte und die amerikanische Nationalgrimasse weiblicher Resignation zog (aufwärtsrollende Augen, seitlich heruntergezogener Mund), die ich in kindlicher Form auch bei Lolita gesehen hatte. Wir tranken etwas - Whisky oder Gin - vor dem Zubettgehen, und mit dieser Hilfe gelang es mir, das Bild des Kindes heraufzubeschwören, während ich die Mutter umarmte. Dies war der weiße Leib, in dem mein Nymphchen 1934 ein zusammengekrümmter kleiner Fisch gewesen war. Dies sorgfältig gefärbte Haar, so leblos für meinen Geruchs- und Tastsinn, bekam in gewissen lampenbeleuchteten Augenblicken im Säulenbett den Ton - wenn auch nicht die Beschaffenheit -von Lolitas Locken. Wenn ich mit meiner nagelneuen, lebensgroßen Frau hantierte, sagte ich mir immer wieder, daß ich Lolita biologisch gar nicht näher kommen könne; daß Lotte in Lolitas Alter ein ebenso begehrenswertes Schulmädchen gewesen sei wie ihre Tochter jetzt und wie es auch Lolitas Tochter eines Tages sein würde. Ich brachte meine Frau dazu, hinter einer Schuhsammlung (der verstorbene Mr. Haze hatte offenbar eine krankhafte Leidenschaft für Schuhe gehabt) ein dreißig Jahre altes Album hervorzugraben, auf daß ich sehen könne, wie Lotte als Kind ausgeschaut hatte; und obgleich die Beleuchtung falsch war und die Kleidung reizlos, gelang es mir, eine undeutliche erste Vision von Lolitas Silhouette, ihren Beinen, ihren Wangenknochen, ihrer Stupsnase zu erkennen. Lottelita, Lolitchen.
So lugte ich verstohlen über die Hecke der Jahre in blinde kleine Fenster, und wenn sie, eine Frau mit majestätischen Brustwarzen und massiven Schenkeln, mich mit jammervoll eifrigen, naiv lasziven Liebkosungen auf die Ausübung meiner nächtlichen Pflicht vorberei tet hatte, war es dennoch Nymphchenduft, was ich verzweifelt zu erhaschen suchte, während ich durch das Unterholz dunkler, welkender Wälder hetzte. I Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie sanft, wie rührend meine arme Frau war. Beim Frühstück in der deprimierend hellen Küche mit ihrem Chromgeglitzer und dem Kochtopf-und-Co. -Kalender und der lauschigen Frühstücksnische (die so tat, als sei sie jene «Kaffeestube» , wo Charlotte und Humbert in ihren Studententagen geturtelt hatten) saß sie in rotem Morgenmantel, Ellbogen auf der Plastiktischdecke, Wange auf die Faust gestützt, und starrte mich, der ich Schinken und Eier verzehrte, mit unerträglicher Zärtlichkeit an. Humberts Gesicht mochte vor Neuralgie zucken, doch in ihren Augen wetteiferte es an Schönheit und Belebtheit mit der Sonne und den Blätterschatten, die über den weißen Kühlschrank rieselten. Meine Düsternis, meine Gereiztheit sah sie als das Schweigen der Liebe an. Mein kleines Einkommen, das zu ihrem noch kleineren hinzukam, wirkte auf sie wie glanzvoller Reichtum, nicht weil die Gesamtsumme jetzt für die meisten Mittelstandsbedürfnisse ausreichte, sondern weil sogar meinem Geld in ihren Augen der Zauber meiner Männlichkeit anhaftete, und unser gemeinsames Girokonto erschien ihr wie einer jener südlichen Boulevards zur Mittagszeit, die sich - auf einer Seite dichter Schatten, auf der anderen weicher Sonnenschein - bis in die Ferne hinziehen, wo rosa Berge ragen.
In die fünfzig Tage unseres Zusammenlebens zwängte Charlotte die Tätigkeiten von ebenso vielen Jahren. Die arme Frau beschäftigte sich mit einer Anzahl von Dingen, die sie seit langem aufgegeben oder für die sie sich nie besonders interessiert hatte, als ob ich (um beim proustschen Tonfall zu bleiben) durch meine Heirat mit der Mutter des Kindes, das ich liebte, meine Frau befähigt hätte, stellvertretend jede Menge Jugendlichkeit wiederzugewinnen. Mit dem Eifer einer banalen jungen Braut fing sie
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