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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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war nicht klar. Lo hatte einen scherzhaften Pfeil in Richtung auf das Gesicht des ausgezehrten Liebhabers gezeichnet und in Druckbuchstaben H. H. dazugesetzt. Und wirklich, trotz des Altersunterschieds von ein paar Jahren war die Ähnlichkeit auffallend. Darunter hing noch ein Bild, auch eine Farbanzeige. Ein distinguierter Dramatiker rauchte selbstvergessen eine Drom. Er rauchte immer Droms. Die Ähnlichkeit war gering. Darunter stand Los keusches Bett, übersät mit «Comics». Vom Bettgestell war hier und da die Emaille abgeplatzt und hatte schwarze, mehr oder weniger runde Stellen im Weiß hinterlassen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß Louise gegangen war, legte ich mich in Los Bett und las den Brief noch einmal.

17
    Meine Herren Geschworene! Ich kann keinen Eid darauf leisten, daß ich mir gewisse Schritte im Zusammenhang mit dem Spatzen in der Hand - wenn Sie mir diesen Ausdruck nachsehen - nicht schon früher vorgestellt hätte. Ich habe sie nicht in logischer Folge in Erinnerung behalten oder in Beziehung zu deutlich erinnerten Gelegenheiten gesetzt; ich kann aber nicht schwören - ich möchte es wiederholen -, daß ich im Dämmer der Gedanken, im Dunkel des Sinnenrauschs solche Vorstellungen nicht liebkost hätte (wenn ich noch so einen Ausdruck basteln darf). Es hat vielleicht Zeiten gegeben - es muß sie gegeben haben, wie ich meinen Humbert kenne -, in denen ich mir zwecks unbeteiligter Prüfung die Idee vorgelegt hatte, eine reife Witwe (sagen wir Charlotte Haze) ohne irgendwelche Angehörigen auf der weiten grauen Welt zu heiraten, einzig, um mit ihrem Kind (Lo, Lola, Lolita) nach Belieben verfahren zu können. Ich bin sogar bereit, meinen Peinigern zu sagen, daß ich vielleicht ein- oder zweimal den kalten Blick eines Taxators auf Charlottes Korallenlippen, ihr Bronzehaar und ihr gefährlich tiefes Dekollete geworfen und versucht hatte, sie in den Rahmen eines plausiblen Tagtraums einzupassen. Ich bekenne dies unter der Folter. Einer vielleicht eingebildeten Folter, die aber um so fürchterlicher ist. Ich wünschte, ich könnte abschweifen und Ihnen mehr von dem Pavor nocturnus erzählen, der mich nachts immer wieder aufs scheußlichste marterte, wenn ich in der wahllosen Lektüre meiner Knabenzeit zufällig auf eine Formulierung stieß wie «peine forte et dure» (welch ein Genius des Schmerzes muß dies erdacht haben!) oder auf die grauenhaften, geheimnisvollen, heimtückischen Wörter «Trauma», «traumatisches Erlebnis» und «Tralje». Aber meine Geschichte ist auch so schon ungehobelt genug.
    Nach einer Weile vernichtete ich den Brief, ging in mein Zimmer, grübelte, zerraufte mir das Haar, posierte in meinem purpurfarbenen Schlafrock, stöhnte durch zusammengebissene Zähne, und plötzlich -plötzlich, meine Herren Geschworene, fühlte ich ein dostojewskijhaftes Grinsen heraufdämmern (durch die Grimasse hindurch, die meine Lippen verzerrte), wie eine ferne, schreckliche Sonne. Ich stellte mir (unter den Bedingungen einer neuen und totalen Sichtbarkeit) all die beiläufigen Liebkosungen vor, mit denen der Mann ihrer Mutter seine Lolita überschütten dürfte. Ich würde sie dreimal täglich an mich drücken können, Tag für Tag. Alle meine Leiden lösten sich in Luft auf, ich wäre ein gesunder Mann. «Dich leicht auf meinem sanften Knie zu halten und eines Vaters Kuß der weichen Wange aufzudrücken ...» Belesener Humbert!
    Dann beschwor ich, mit aller erdenklichen Vorsicht, auf geistigen Zehenspitzen sozusagen, das Bild Charlot-tes als möglicher Lebensgefährtin herauf. Herrgott, ich würde mich ja wohl dazu bringen können, ihr die haushälterisch halbierte Grapefruit, dies zuckerlose Frühstück zu apportieren.
    Humbert Humbert, der schweißüberströmt im unbarmherzigen Weißlicht schwitzt, von schwitzenden Polizisten angebrüllt und mit Füßen getreten, ist jetzt bereit, eine weitere «Aussage» (quel mot!) zu machen, sein Gewissen nach außen zu krempeln und ihm das letzte Innenfutter herauszureißen. Ich hatte nicht die Absicht, die arme Charlotte zu heiraten, um sie auf irgendeine vulgäre, niederträchtige und riskante Weise aus dem Weg zu räumen, sie etwa zu töten, indem ich ihr vor Tisch fünf Quecksilberbichlorid-Tabletten in den Sherry tat oder dergleichen; aber irgendein zartverbündeter pharmakopoetischer Gedanke klingelte sicherlich in meinem dröhnenden und umwölkten Hirn. Warum sollte ich mich auf die bescheidenen maskierten  Liebkosungen beschränken, die

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