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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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untersuchte, ob noch alles da war, wandte sich dortselbst mit der Frage an mich, wie ich ! Doktor Knabes Vortrag gefunden habe, und machte ein  befremdetes Gesicht, als ich (König Sigmund der Zweite) sagte, Knabe sei ein toller Knabe. Woraufhin ich das Papierhandtuch, mit dem ich meine empfind-» samen Fingerspitzen abgetrocknet hatte, geschickt in das dafür vorgesehene Behältnis warf und lobbywärts aufbrach. Mit lässig aufgestütztem Ellbogen lehnte ich mich über den Empfangstisch und fragte Mr. Flapp, ob i er sicher sei, daß meine Frau nicht durchgeläutet habe und wie es mit dem Klappbett stehe. Er antwortete, sie habe nicht angerufen (sie war ja auch tot), und das Klappbett würde morgen aufgestellt, sollten wir uns ! denn zum Bleiben entschließen. Aus einem großen, überfüllten Raum, über dessen Tür «Jägersaal» stand, quoll der Klang von vielen Stimmen, die über Gartenbau oder die Ewigkeit diskutierten. Ein anderer Raum, :  «Himbeerstube» geheißen, der in hellem Licht er-strahlte und in dem glitzernde kleine Tische und ein langer mit «Erfrischungen» standen, war noch leer, abgesehen von einer Gastgeberin (vom Typ erschöpfte Frau mit glasigem Lächeln und Charlottes Sprechweise); sie driftete mit der Frage auf mich zu, ob ich Mr. Braddock sei, weil nämlich in diesem Falle Miss Bart nach mir gesucht habe. «Welch ein Name für eine Frau», sagte ich und spazierte weiter.
    In meinem Herzen flutete mein Regenbogenblut ein und aus. Ich würde ihr bis um halb zehn Zeit geben. Als ich in die Halle zurückkam, war eine Veränderung eingetreten: Eine Anzahl Leute in geblümten Kleidern oder schwarzem Tuch bildeten hier und da kleine Gruppen, und ein elfischer Zufall schenkte mir den Anblick eines entzückenden Kindes in Lolitas Alter, in Lo-litas Kittelkleid, jedoch in reinem Weiß und mit einer weißen Schleife im schwarzen Haar. Sie war nicht hübsch, aber sie war ein Nymphchen, und ihre elfenbeinblassen Beine und der Lilienhals bildeten einen unvergeßlichen Augenblick lang eine ungemein wohltuende Antiphonie (wenn sich ein das Rückgrat entlanglaufendes Gefühl mit einem musikalischen Begriff ausdrücken läßt) zu meinem Verlangen nach Lolita, der braunen, rosigen, erhitzten und verderbten. Das bleiche Kind bemerkte meinen Blick (der wirklich ganz flüchtig und charmant war), und da sie lächerlich schüchtern war, wurde sie schrecklich verlegen, rollte mit den Augen, legte den Handrücken an die Wange, zupfte an ihrem Rocksaum und kehrte mir schließlich, scheinbar um mit ihrer Mutterkuh zu plaudern, die dünnen beweglichen Schulterblätter zu.
    Ich verließ die laute Halle, stand draußen auf den weißen Stufen und schaute den Hunderten von be-mehlten Insekten zu, die in der feuchten Schwärze der nicht geheuren, unruhigen Nacht um die Lampen kreisten. Alles, was ich zu tun beabsichtigte, alles, was ich zu tun wagte, wäre eine bloße Kleinigkeit...
    Plötzlich bemerkte ich, daß in der Dunkelheit neben mir jemand auf einem Sessel zwischen den Säulen der Veranda saß. Ich konnte ihn nicht richtig sehen, aber das knirschende Aufschrauben eines Flachmanns, ein diskreter Schlucklaut und als Schlußnote dann ein gemächliches Zuschrauben verrieten ihn. Ich war im Begriff wegzugehen, als seine Stimme mich ansprach.
    «Donnerwetter, wo hast du die denn her?»
    «Wie bitte?»
    «Ich sagte: Mit dem Sommerwetter ist es diesmal nicht weit her.»
    «Allerdings.»
    «Wer ist die Kleine?»
    «Meine Tochter.»
    «Das machst du mir nicht weis.»
    «Wie bitte?»
    «Ich sagte: Aber abends ziemlich heiß. Wo ist die Mutter?»
    «Tot.»
    «Aha. Traurig. Übrigens, wie wär's, wenn Sie beide morgen mit mir zu Mittag essen? Diese grausliche Horde ist dann weg.»
    «Wir auch. Gute Nacht.»
    «Schade. Bin wohl ziemlich blau. Gute Nacht. Ihr Kindchen braucht eine Menge Schlaf. Schlaf ist eine Rose, wie die Perser sagen. Zigarette?»
    «Nicht jetzt.»
    Er zündete ein Streichholz an, doch weil er oder der Wind betrunken war, beleuchtete die Flamme nicht ihn, sondern jemand anderen, einen sehr alten Mann, einen dieser Dauergäste alter Hotels - und seinen weißen Schaukelstuhl. Niemand sagte etwas, und die Dunkelheit strömte dahin zurück, wo sie gewesen war. Dann hörte ich den Greis husten und etwas Grabesschleim von sich geben.
    Ich verließ die Terrasse. Alles in allem war mindestens eine halbe Stunde vergangen. Ich hätte ihn um einen Schluck bitten sollen. Die Anspannung machte sich bemerkbar. Wenn

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