Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
Vom Netzwerk:
eine Violinsaite schmerzen kann, dann war ich eine. Es wäre indessen ungehörig gewesen, Eile an den Tag zu legen. Während ich mir den Weg durch eine Konstellation von Fixmenschen in einer Ecke der Halle bahnte, blitzte es plötzlich grell auf - und der breit lächelnde Dr. Braddock, zwei orchideengeschmückte Matronen, das kleine Mädchen in Weiß und vermutlich die gefletschten Zähne des sich seitlich zwischen der bräutlichen Kleinen und dem verzauberten Kleriker hindurchzwängenden Humbert Humbert waren verewigt - soweit bei Kleinstadtzeitungen in puncto Papierbeschaffenheit und Druck von Ewigkeit die Rede sein kann. Eine zwitschernde Gruppe umlagerte den Fahrstuhl. Ich zog wieder die Treppe vor. 342 lag dicht bei der Feuerleiter. Noch könnte man ... Aber da steckte der Schlüssel schon im Schloß, und dann war ich im Zimmer.

29
    Die Tür des erleuchteten Badezimmers stand halb offen; dazu kam von den Bogenlampen draußen ein skeletthaft gerippter Lichtschimmer durch die Jalousien; überkreuz drangen diese Strahlen in das Dunkel des Schlafzimmers und ließen folgende Situation erkennen.
    In einem ihrer alten Nachthemden lag meine Lolita in der Mitte des Bettes auf der Seite, den Rücken mir zugekehrt. Ihr leicht verhüllter Körper und die nackten Glieder bildeten ein Z. Sie hatte beide Kissen unter ihren dunklen, zerzausten Kopf gesteckt; ein blasser Lichtstreif fiel über ihren obersten Halswirbel.
    Mit jener phantastischen Plötzlichkeit, die einem suggeriert wird, wenn in einer Filmszene die Prozedur des Aus- und Anziehens geschnitten ist, muß ich meine Sachen von mir geworfen haben und in den Pyjama geschlüpft sein; und ich hatte bereits mein Knie auf dem Bettrand, als Lolita den Kopf wandte und mich durch die gestreiften Schatten anstarrte.
    Das war nun allerdings etwas, das der Eindringling nicht erwartet hatte. Das ganze Pillchenspielchen (eine ziemlich schmutzige Sache, entre nous soit dit) hatte auf einen so festen Schlaf abgezielt, daß ein ganzes Regiment ihn nicht hätte stören können, und da lag sie nun, richtete den Blick auf mich und nannte mich mit schwerer Zunge «Barbara». In meinem Schlafanzug, der ihr viel zu eng war, erstarrte Barbara über der kleinen Som-niloquentin. Weich, mit einem hoffnungslosen Seufzer, drehte sich Dolly wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück. Ich wartete mindestens zwei Minuten gespannt am Rand des Abgrunds, wie vor vierzig Jahren jener Schneider mit dem selbstgemachten Fallschirm, als er im Begriff stand, vom Eiffelturm zu springen. Ihr sanfter Atem hatte den Rhythmus des Schlafs. Endlich wuchtete ich mich auf meine schmale Bettkante, zog verstohlen an den diversen Bettuchenden, die südlich von meinen eiskalten Fersen aufgehäuft waren - da hob Lolita den Kopf und starrte mich an.
    Wie ich von einem hilfsbereiten Pharmazeuten später erfuhr, gehörten die Purpurpillen nicht einmal zu der großen und edlen Familie der Barbiturate, und obschon sie einem Neurotiker, der sie für ein wirksames Mittel hielt, Schlaf hätten bringen können, waren sie doch ein zu schwaches Beruhigungsmittel, um ein alertes, wenn auch übermüdetes Nymphchen für längere Zeit auszuschalten. Ob der Arzt in Ramsdale ein Scharlatan war oder ein durchtriebener alter Gauner, fällt und fiel nicht ins Gewicht. Ins Gewicht fiel lediglich, daß ich betrogen worden war. Als Lolita zum zweiten Mal die Augen öffnete, wurde mir klar, daß selbst dann, wenn die Wirkung später in der Nacht doch noch eintreten sollte, die Sicherheit, auf die ich gebaut hatte, eine trügerische war. Langsam wandte sich ihr Kopf weg und sank auf ihre unfair üppige Kissenportion zurück. Ich lag ganz still am Rand meines Abgrunds, spähte nach ihrem verwuschelten Haar, nach dem Schimmer von Nymphchennacktheit, wo undeutlich ein halber Schenkel und eine halbe Schulter zu erkennen waren, und versuchte, aus ihrer Atemrate die Tiefe ihres Schlafes abzuschätzen. Einige Zeit verging, nichts änderte sich, und ich beschloß, das Risiko auf mich zu nehmen und diesem lockenden, verrücktmachenden Schimmer etwas näher zu rücken; kaum aber war ich in seinen warmen Umkreis vorgedrungen, da stockte ihr Atem, und ich hatte das abscheuliche Gefühl, daß die kleine Dolores hellwach sei und losschriee, wenn ich sie mit irgendeinem Teil meines armseligen, jammervollen Körpers berührte. Bitte, Leser: Wie sehr Sie auch über den zartfühlenden, krankhaft empfindsamen, unendlich vorsichtigen Helden meines Buches außer

Weitere Kostenlose Bücher