London NW: Roman (German Edition)
schickeren Teil, am Park. Sie ist Anwältin. Barrister. Ist das eigentlich das Gleiche? Wahrscheinlich schon. Ach ja, sie haben zwei Kinder. Und die Kinder lieben Olive, so heißt mein Hund, Olive.
Sie sagt einfach einen Satz nach dem anderen, es hört nicht mehr auf.
– Ach ja, ich bin übrigens schwanger.
Shar lehnt sich an die Türscheibe. Kneift ein Auge zu, fixiert Leahs Bauch.
– Oh, noch ganz am Anfang. Ganz am Anfang. Ach ja, eigentlich weiß ich es erst seit heute Morgen.
Ach ja ach ja ach ja. Shar nimmt die Offenbarung gelassen.
– ’n Junge?
– Nein, ich meine ... so weit bin ich doch noch gar nicht.
Leah wird rot, sie hat nicht vorgehabt, von dieser heiklen, unvollendeten Sache zu erzählen.
– Weiß es dein Mann schon?
– Ich habe heute früh den Test gemacht. Dann bist du gekommen.
– Wünsch dir ’n Mädchen. Jungs sind die Hölle.
Shars Miene ist finster. Sie grinst teuflisch. Rund um ihre Zähne ist das Zahnfleisch schwarz. Sie kommt zurück zu Leah und legt ihr beide Hände flach auf den Bauch.
– Lass mal fühlen. Ich kann so was vorhersagen. Egal, wie früh. Na komm. Ich tu dir schon nichts. Ist wie ’ne Gabe. Hab ich von meiner Mutter. Na komm.
Sie greift nach Leah und zieht sie zu sich. Leah lässt sie. Shar legt die Hände wieder auf ihren Bauch.
– Das wird ’n Mädchen, das ist sicher. Und Skorpion noch dazu, na, viel Spaß. ’ne kleine Kanone.
Leah lacht. Zwischen den verschwitzten Händen der anderen und ihrem eigenen klammen Bauch spürt sie Hitze aufsteigen.
– Eine Sportskanone, meinst du?
– Nee ... eine, die schnell explodiert. Wirst du ständig im Auge behalten müssen.
Shar lässt die Hände sinken, und wieder überzieht Langeweile ihr Gesicht. Jetzt redet sie. Alles ist gleichwertig: Leah, Tee, Vergewaltigung, Zimmerzahl, Herzinfarkt, Schule, wer jetzt Kinder hat.
– Diese Schule ... Die war ja echt Mist, aber die Leute, die da waren ... ein paar von denen haben’s echt zu was gebracht, oder? Calvin zum Beispiel – sagt dir Calvin noch was?
Leah schenkt Tee ein, nickt eifrig. Calvin sagt ihr gar nichts.
– Der hat jetzt so ’n Fitnessstudio an der Finchley Road.
Leah rührt mit dem Löffel im Tee, den sie sonst nie trinkt, erst recht nicht bei so einem Wetter. Sie hat den Teebeutel zu fest ausgedrückt. Die Blätter verlassen die Festung, schwärmen aus.
– Und das gehört ihm richtig! Ich komm da manchmal vorbei. Hätt ich nie gedacht, dass der kleine Calvin mal den Arsch hochkriegt – der hing doch immer mit Jermaine und Louie und Michael rum. War ’n übler Haufen ... Von denen treff ich keinen mehr. So viel Drama brauch ich nicht. Aber Nathan Bogle seh ich noch. Und früher Tommy und James Haven, aber die hab ich in letzter Zeit nicht mehr gesehen. Ewig nicht.
Shar redet weiter. Die Küche kippt, und Leah hält sich mit einer Hand an der Anrichte fest.
– Entschuldige, was?
Shar runzelt die Stirn, spricht an der Zigarette vorbei, die sie im Mund hat.
– Ich hab gesagt, gibst du mir mal den Tee?
Wie alte Freundinnen an einem Winterabend sehen sie aus, beide Hände um die Becher gelegt. Die Tür ist offen, alle Fenster sind auf. Die Luft steht. Leah zieht an ihrem Hemd und löst es mit einem Schütteln von der Haut. Eine Öffnung entsteht, Luft schießt hindurch. Der Schweiß, der sich unter den Brüsten gesammelt hat, hinterlässt beschämende Spuren auf dem Baumwollstoff.
– Früher war ich mal ... also ...
Leah tastet sich mit künstlichem Zögern voran und schaut dabei tief in ihren Becher, doch Shar hat kein Interesse, sie trommelt an den Glaseinsatz der Tür, redet einfach über sie hinweg.
– Aber in der Schule hast du echt anders ausgesehen. Jetzt gefällst du mir besser. Du warst immer so rothaarig und knochig. Voll die Bohnenstange.
Das ist Leah alles immer noch. Geändert haben müssen sich wohl die anderen – oder die Zeiten.
– Hast es aber weit gebracht. Warum bist du nicht auf Arbeit? Was machst du noch gleich?
Shar nickt bereits, bevor Leah antwortet.
– Ich hab mich krankgemeldet. Mir ging’s nicht gut. Ich arbeite sozusagen in der Verwaltung. Für einen guten Zweck. Wir verteilen Geld. Lotterieeinnahmen, die gehen dann an karitative und gemeinnützige Einrichtungen – an kleine kommunale Unternehmen, die Unterstützung brauchen ...
Sie hören ihrem eigenen Gespräch nicht zu. Die Frau aus der Siedlung steht immer noch auf dem Balkon und brüllt. Shar schüttelt den Kopf, pfeift. Schenkt Leah
Weitere Kostenlose Bücher