London
besser. Ein starker König wie Wilhelm der Eroberer oder Heinrich II. konnte in der Stadt die Oberhand behalten, aber in der anarchischen Zeit vor König Heinrich waren die Londoner durchaus in der Lage gewesen, dem König Paroli zu bieten. Außerdem war der vorsichtige Exchequer-Beamte zwar entschlossen, die Arbeit, die ihm sein Herr aufgetragen hatte, auszuführen, doch er war in diesen unsicheren Zeiten ebenso darauf bedacht, sich möglichst wenige Feinde zu machen.
Zu Idas Überraschung setzte er sich Bull gegenüber an den Eichentisch und sagte fast entschuldigend: »Richard weiß nichts von England und schert sich auch wenig darum. Doch momentan ist er sehr mächtig. Ich glaube, Ihr müßt bezahlen.«
»Dieses Jahr schon. Nächstes Jahr vielleicht nicht.« Bull zuckte die Schultern. »Wenn wir Glück haben, kommt er auf seinem Kreuzzug um, und wir sind ihn los.«
Ida stockte der Atem. Doch Silversleeves war weit entfernt davon, Einspruch zu erheben. Er beugte sich vielmehr vertraulich vor und fragte: »Wir wissen alle, daß dies ein Fehler ist, aber sagt mir ehrlich: Wie heftig wird London darauf reagieren?«
Bull dachte kurz darüber nach. »Wenn der König den Gepflogenheiten den Rücken zukehrt«, meinte er dann mit ernster Stimme, »dann werden wir uns dies nicht gefallen lassen.«
Die Gepflogenheiten waren in England von höchster Bedeutung. Das alte Gewohnheitsrecht, das jeden Großgrundbesitz, jedes Dorf im Königreich regierte, war zwar nirgends schriftlich festgehalten, doch die normannischen Eroberer waren klug genug gewesen, niemals daran zu rütteln. In ähnlicher Weise waren die Bräuche Londons nirgends offiziell festgelegt, doch jeder König seit Wilhelm hatte sich an sie gehalten. Dies war der Code, nach dem die nordländischen und sächsischen Bürger der Stadt lebten. Eine Verletzung dieser ungeschriebenen Gesetze kam dem Ende der Zusammenarbeit gleich, dies war Pentecost völlig klar.
»Offen gestanden«, fügte Bull noch hinzu, »würde es mich nicht überraschen, wenn dies zu einer Kommune führen würde.«
Silversleeves erbleichte.
Eine Kommune war an sich keine neue Institution. In der Normandie hatte sich die alte Stadt Rouen schon ein halbes Jahrhundert lang selbst verwaltet, und in anderen europäischen Städten gab es ähnliche Modelle. Die Barone von London hatten diese Idee immer wieder einmal ins Gespräch gebracht, wenn auch nie mit sehr viel Erfolg. So eine Kommune war der Traum eines jeden Bürgers. Sie bedeutete, daß die Stadt zu einer sich selbst regierenden Einheit wurde, auf die der Monarch nahezu keinen Einfluß hatte. Ein Königreich innerhalb des Königreichs, das seinen eigenen Gouverneur wählte, der meist den Titel Mayor trug, wie er bei den Franzosen hieß.
Der König bezog seine Einkünfte aus drei Hauptquellen. Zum einen gab es die jährlichen festen Abgaben aus den Grafschaften, zum anderen gelegentliche Steuern, die je nach Gutdünken des Königs und seines Rats für bestimmte Zwecke erhoben wurden, also Hilfeleistungen, theoretisch betrachtet Geschenke, die alle feudalen Barone ihrem König machten; und dann gab es noch die Gemeindesteuer, eine feste Steuer, die alle Freien, vor allem diejenigen, die in den Städten lebten, dem König pro Kopf zu zahlen hatten.
Im feudalen Europa wurde eine Kommune so behandelt, als sei sie ein einziger feudaler Baron. Die feste jährliche Abgabe wurde dem König von dem Mayor bezahlt, der sie nach eigenem Gutdünken festsetzte, und ähnlich wurde mit den Hilfeleistungen verfahren. Aber da die Kommune wie ein einzelner feudaler Baron betrachtet wurde, wären all die Tausende von Freien, die innerhalb der Stadtmauern lebten, nicht mehr die Männer des Königs, sie würden vielmehr zu einem Baron gehören, der London hieß, und die Gemeindesteuer würde entfallen. Die Kommune war tatsächlich eine Art Steuerparadies für die gewöhnlichen Bürger. Kein Wunder, daß Silversleeves diese Idee verabscheute.
»Würdet Ihr denn eine Kommune unterstützen?« fragte er.
»Durchaus!« erwiderte Bull grimmig.
Ida verfolgte dieses illoyale Gespräch mit wachsendem Entsetzen. Für wen oder was hielten sich diese arroganten Kaufleute eigentlich? Wenn sie die Witwe eines Magnaten gewesen wäre und über die Macht der großen europäischen Städte Bescheid gewußt hätte, dann hätte sie sicher den Mund gehalten. Aber sie war nur die Witwe eines provinziellen Ritters, und sie war auch nicht besonders klug. Also wandte sie sich nun
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