London
mißbilligend an ihren Mann. »Wie sprichst du von unserem König? Wir schulden ihm Gehorsam. Ihr nennt euch Barone? Ihr seid doch nichts weiter als Kaufleute! Ihr redet von einer Kommune? Die reine Unverschämtheit! Der König wird euch zerschmettern, und dies zu Recht. Du vergißt einfach deinen Platz!«
Ihre Worte waren gezeichnet von all dem Schmerz ihrer Demütigung und der Erinnerung, daß sie noch immer eine Lady war. Ida war ziemlich stolz auf sich. Die Absurdität dessen, was sie da gesagt hatte, fiel ihr überhaupt nicht auf.
Bull starrte einen kurzen Moment lang schweigend auf den Tisch, dann sagte er: »Es war wohl doch ein Fehler, dich zu heiraten. Ich wußte nicht, daß du so dumm bist. Aber als meine Frau hast du mir zu gehorchen, also verlasse nun diesen Raum!«
Als sie sich blaß und zitternd zur Tür begab, sah sie dort David stehen, der sie genau beobachtete.
In den folgenden Wochen blieb die Beziehung zwischen Ida und Bull sehr kühl. Der Wortwechsel hatte beide verletzt, und beide zogen sich nun in eine Art bewaffnete Neutralität zurück.
Bruder Michael besuchte sie nach wie vor. Er tat, was er konnte, um sie aufzuheitern, und betete für sie. Eines Nachmittags setzte sich David still neben Ida und fragte nach einer Weile: »Ist mein Vater böse?« Als sie diese Frage verneinte, wollte er wissen: »Aber er sollte doch sicher nicht gegen den König sprechen?«
»Nein«, gab sie offen zu, »das sollte er nicht.«
Der Herbst ging in den Winter über. Anfang Dezember segelte König Richard zur Normandie hinüber, in England war es ruhig.
In St. Bartholomew's wurde Weihnachten gefeiert. Nach dem Gottesdienst luden die im Kloster lebenden Stiftsherren zu einem Festmahl ein. Es gab Schwan, gewürzten Wein, dreierlei Arten von Fisch und Süßigkeiten. Selbst die Insassen des Krankenhauses bekamen eine gute Mahlzeit, und überall herrschte Frohsinn.
Schwester Mabel hatte mehr getrunken, als ihr bewußt war. Sie war ziemlich angeheitert. Auf ihrem Weg durch das Kloster kam sie, begleitet von Bruder Michael, an einem Kohlenbecken vorbei, und sie schlug Bruder Michael vor, sich daneben niederzulassen und noch ein Weilchen miteinander zu plaudern. Auch er fühlte sich wohlig entspannt. Sie sprachen von ihren Familien, und plötzlich fragte sie ihn, ob er jemals eine Frau geliebt habe. »Ja«, antwortete er, »aber ich habe ja meine Gelübde geschworen.«
»Niemand wollte mich heiraten«, gestand Mabel. Kichernd streifte sie ihr Gewand hoch und entblößte ein Bein bis zum Knie. »Mit meinen Beinen war ich immer ganz zufrieden«, sagte sie. »Was meinst du?«
Das Bein war ansehnlich genug, dieser Meinung wären sicher viele gewesen. Doch als Bruder Michael nun darauf blickte, wurde ihm klar, daß dies wohl der erste und einzige sexuelle Vorstoß war, den Schwester Mabel je gewagt hatte. Er küßte sie sanft auf die Stirn und meinte: »Ein wirklich hübsches Bein, Schwester Mabel, mit dem du Gott ausgezeichnet dienen kannst.« Damit stand er auf und ging.
Zwei Tage später gestand Mabel ihrem Beichtvater: »Für mich ist alles zu spät. Ich werde zur Hölle fahren, daran ist nichts mehr zu ändern. Aber Bruder Michael hat nicht gesündigt.«
In der letzten Dezembernacht fand ein geheimes Treffen statt. Die sieben Männer, die einzeln und verstohlen in das Haus in der Nähe des London Stone traten, waren alle Aldermen. Bei ihrem einstündigen Gespräch waren sie sich einig, was sie wollten, und entwickelten eine Taktik für ihr Vorgehen. Gegen Ende des Treffens meinte einer von ihnen, daß sie wohl noch einen Helfershelfer benötigten. Da erklärte Alderman Sampson Bull: »Ich kenne jemanden, der trefflich dafür geeignet ist. Überlaßt diese Sache ruhig mir.« Auf die Frage, wer dieser Mann denn sei, antwortete er lächelnd: »Silversleeves.«
Wenige Tage darauf kamen Boten mit einer wichtigen, beunruhigenden Nachricht nach London. Johann, der Bruder des Königs, war in England gelandet.
April 1190
Pentecost Silversleeves blickte auf die Familie Barnikel. Sie mochte ihn nicht, aber das war ihm gleichgültig. Sie war nicht wichtig. Vor ihm standen der stämmige, rothaarige Fischhändler und seine Kinder, eine weitere Frau, die er nicht kannte, mit einem kleinen Jungen an der Hand, und die sonderbare Schwester Mabel.
»Aber ich habe für diese Netze bezahlt«, protestierte der Fischhändler.
»Ich fürchte«, entgegnete Silversleeves sofort, »daß es dafür keine Entschädigung geben
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