London
Gemeinde bei lebendigem Leib verbrannten. König Richard war höchst erbost, die Schuldigen wurden schwer bestraft, doch der Londoner Aufstand im September 1189, der erste seiner Art in diesem Land, markierte den Beginn des allmählichen Niedergangs der jüdischen Gemeinde in England.
Wenn Schwester Mabel weiter froh und munter war, so war dies zum Teil auf ein Ereignis am Anfang des Jahres zurückzuführen, das ihrem Leben neuen Sinn verlieh. Als nämlich Simon der Waffenschmied plötzlich starb und eine Witwe und einen kleinen Sohn hinterließ, tröstete sie nicht nur die Mutter, sie kümmerte sich auch um den kleinen Jungen. Da auch ihr Bruder, der Fischhändler, noch kleine Kinder hatte, tauchte sie eines Tages mit dem kleinen Burschen in den Armen bei ihm auf und verkündete: »Hier ist ein Spielgefährte für unsere Kleinen!« Mit seinen mit Schwimmhäuten versehenen Händen und seiner weißen Haarsträhne bekam der kleine Adam bei der Familie Barnikel bald den Spitznamen Entlein, »little duck« oder »ducket«, und rasch wurde er zu Adam Ducket. Kaum ein Tag verging, ohne daß Mabel einen Anlaß fand, bei Adam und seiner Mutter vorbeizuschauen, und die Witwe war froh über ihren Beistand. »Beide Tochter aus Simons erster Ehe sind verheiratet«, erklärte sie Mabel. »Sie kümmern sich überhaupt nicht um uns.«
Auch in anderer Hinsicht hatte die Witwe Glück. Die Waffenschmiede war zwar von einem neuen Meister übernommen worden, doch Simon hatte seiner Witwe das kleine Haus mit den vier Zimmern am Cornhill hinterlassen, und indem sie zwei der Zimmer vermietete und als Näherin arbeitete, schaffte sie es gut, sich durchzubringen. Außerdem gab es noch ein weiteres Erbe, ein kleines Stück Land bei Windsor.
Simons Witwe hatte nie verstanden, warum er an diesen paar Morgen Land festhielt, die kaum einen Ertrag brachten, doch er hatte ihr erklärt, daß schon sein Vater und davor dessen Vater dieses Land besessen hatten. »Meine Familie lebte dort in der Zeit König Alfreds«, pflegte er zu sagen. Jedes Jahr war er die zwanzig Meilen dorthin geritten, um seine Pacht zu bezahlen und mit seinen inzwischen ziemlich weit entfernten Vettern, die noch immer Leibeigene waren, die Bearbeitung des Landes zu regeln. Kurz vor seinem Tod hatte er seiner Frau noch das Versprechen abgefordert, dieses Land nie aufzugeben. »Behalte es für Adam.«
»Was soll ich nun tun?« fragte sie Mabel. »Wie soll ich überhaupt dorthin gelangen, um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen?« Da tauchte Mabel eines Morgens mit einem kleinen Pferd und einem Karren auf, die ihrem Bruder gehörten. »Damit kannst du nach Windsor fahren«, sagte sie. Und so machte sich Adams Mutter auf den Weg, um ihr Erbe zu sichern.
Der Ort hatte sich seit der Domesday-Untersuchung kaum verändert. Simons Witwe erkannte die Verwandten ihres Mannes sofort, als sie unterwegs einen Burschen mit einer weißen Haarsträhne traf, wie auch ihr Mann sie gehabt hatte. Es stellte sich heraus, daß er das Oberhaupt der Familie war, und noch am selben Abend bot er ihr eine Lösung für ihr Problem an. »Du brauchst hier nicht jedes Jahr herzukommen«, erklärte er ihr. »Wir werden das Land weiterhin bearbeiten; mit dem Ertrag werden wir die Pacht bei dem Verwalter des Grundherrn begleichen, und das, was dann noch übrigbleibt, wird dir einer von uns nach London bringen.«
Gleich am nächsten Morgen wurde die Sache mit dem Verwalter besprochen, und die Witwe konnte erleichtert ihren Heimweg antreten.
Ida verbrachte einen angenehmen September in dem Haus, in dem sie nun die Herrin war. Es war in den letzten Jahrzehnten vergrößert worden. Bull wickelte seine Geschäfte im Erdgeschoß ab; im ersten Stock gab es einen Aufenthaltsraum und ein Schlafzimmer, im Dachgeschoß schliefen David und die Diener. Zwei Aspekte, die bei den meisten Häusern im damaligen London zu finden waren, verliehen dem Haus sein charakteristisches Aussehen. Zum einen hatte das Obergeschoß eine größere Grundfläche als das Erdgeschoß, so daß es mehrere Fuß in die Straße hineinragte. Bei den – noch sehr wenigen – Häusern, die mehr als ein Obergeschoß hatten, reichte der dritte Stock sogar noch weiter hinaus, wodurch die engen Straßen fast zu Tunnels wurden. Zum anderen waren die herausragenden Flächen bei Bulls Haus von Querbalken gestützt, die aus den großen Ästen von gekappten Eichen bestanden. Diese wurden einfach so belassen, wie sie waren. Manchmal hatte man nicht
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