London
dieser Euren Herrn angreift.«
Von dem Tag an warnte Silversleeves den Kanzler immer wieder eindringlich vor den Gefahren, es sich mit der Stadt zu verscherzen. Kaum eine Woche verstrich, ohne daß er bei Bull besorgt um Neuigkeiten nachfragte, und der Kaufmann pflegte darauf stets Dinge zu sagen wie etwa: »Johann ist überall«, oder: »Es sieht nicht gut aus für Longchamp.«
Im Hochsommer erhielt der Alderman Hinweise, daß ihre Kampagne erfolgreich verlief. Und nun, vor wenigen Tagen, waren zu Michaeli die wunderbaren Neuigkeiten aus dem Schatzamt gekommen.
»Alles, was wir wollten!« verkündete Bull seinen Freunden begeistert. »Die Sondersteuern des Königs abgeschafft. Die jährlichen festen Abgaben wieder auf ihrem ursprünglichen niedrigen Stand. Zwei Sheriffs, die wir wählen können.« Zu Silversleeves meinte er später feierlich: »London steht in Eurer Schuld, Master Silversleeves.« Und als der Beamte Näheres erfahren wollte, sagte Bull: »Warum sollte London Johann unterstützen, wenn wir einen Freund wie Longchamp haben?«
Bei dem Treffen im Haus in der Nähe des London Stone verkündete der Anführer der Gruppe, nachdem er Bull beglückwünscht hatte, mit einem breiten Lächeln: »Und nun, meine Freunde, heißt es nur noch abwarten.« An eben diesem Tag hatte er die Nachricht erhalten, daß König Richard Löwenherz die Segel gesetzt und das Festland verlassen habe. Er war nun unwiderruflich unterwegs auf dem fernen Mittelmeer.
Adams Mutter hörte nie mehr von ihren Verwandten in Windsor. Keiner aus der Familie kam je nach London, und sie bekam auch nie einen Penny von ihnen zu Gesicht. Nachdem über ein Jahr ohne eine Nachricht von ihnen verstrichen war, hatte sie sich fest vorgenommen, im nächsten Jahr noch einmal persönlich nachzuforschen. Oder vielleicht auch erst im übernächsten Jahr. Es war schließlich ein ziemlich weiter Weg.
Als Adam fünf war, erklärte sie ihm: »Dein Vater hatte ein paar Äcker in einem kleinen Dorf. Eigentlich stünde uns daraus ein gewisser Ertrag zu.« Dem Jungen sagten diese Worte zu dem damaligen Zeitpunkt nichts, und da seine Mutter nie mehr darauf zu sprechen kam, vergaß er die Angelegenheit schließlich völlig.
In diesem Herbst kehrte David Bulls Krankheit zurück. Plötzlich wurde er so blaß und dünn, daß sein Vater sich ernsthaft Sorgen machte. Man versuchte alles mögliche einschließlich Mabels Kräutermittel, und nach einer Weile schien sich David wieder zu erholen, doch im Januar kehrte die Krankheit abermals zurück.
Zuerst hatte es geschneit, dann war es bitterkalt geworden. Londons Straßen verwandelten sich zu spiegelglatten Eisflächen, und auf die Wege wurde Asche gestreut. Jeden Tag kämpfte sich der Mönch traurig seinen Weg hinunter zum Haus seines Bruders. Wenn David mit seinen fünfzehn Jahren schon sterben mußte, dann war die Vorbereitung darauf das mindeste, was Michael tun konnte. Und der Junge unterhielt sich gern mit ihm. Er wollte alles vom Himmel, der Hölle und dem Teufel wissen. Eines Tages fragte er ihn: »Wenn meine Seele Gott sucht, warum liebt sie dann die Welt, die so weit entfernt ist vom Himmel? Heißt das, daß der Teufel mich erobert hat?«
»Nicht unbedingt«, erklärte ihm der Mönch. »Weltliche Begierden sind eigentlich nur eine Verdrehung deines Wunsches nach der Ewigkeit.«
»Wenn das so ist«, fragte David, »warum habe ich dann Angst, diese Welt zu verlassen?«
»Du hast nichts zu befürchten, wenn du bereit dazu bist und Gott gedient hast«, erwiderte der Mönch.
»Ich hätte gern an einem Kreuzzug teilgenommen«, sagte der Junge seufzend. »Aber so habe ich gar nichts geleistet.«
Eine Woche später wurde es etwas wärmer. David klammerte sich noch immer an sein Leben, und sein Onkel betete noch immer für ihn. Und eines Tages überkam Bruder Michael das unerklärliche Wissen, daß der Junge überleben würde. Er gestand es Ida, die so bewegt davon war, daß sie ihn küßte. An diesem Morgen sah Michael auf seinem Heimweg ein Schneeglöckchen auf einem kleinen Grasfleck gleich neben St. Paul's blühen.
Mitte Februar verstand Schwester Mabel endlich ihre Vision. Wieder hatte sie den Kustos von St.-Lawrence-Silversleeves besucht. Zwar stieß sie bei dem Exchequer-Beamten stets auf taube Ohren, wenn sie versuchte, ihn zu überreden, etwas für die arme Familie zu tun, aber sie versuchte weiterhin nach Kräften, die armen Leute zu unterstützen. Nach diesem Besuch beschloß sie, noch rasch bei
Weitere Kostenlose Bücher