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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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alten englischen Adels traten, waren getrennt vom Volk der Engländer. Godefroi mochte zwar sein Anwesen in Avonsford wie seine sächsischen Vorgänger leiten, aber seine erste Sprache war das Französische. Er führte seine Bauern nicht in den Krieg, denn die alten, nicht geübten englischen Truppen waren ohnehin kaum mehr einsetzbar. Die Truppen von König Löwenherz bestanden aus fremden Söldnern, tüchtigen Bogenschützen aus Wales und furchterregenden routiers, Söldnern vom Festland. Der Reichtum des Ritters spielte dabei keine Rolle. Godefroi gehörte zu einer separaten, europäischen, militärischen Aristokratie, einer Kriegerkaste, die aus einem weitverzweigten Netz von Verwandten bestand und auf alle anderen hinunterblickte. Diese Vorstellung von Adel sollte die englische Gesellschaft noch lange verunsichern.
    Alderman Sampson Bull erkannte klugerweise, daß sich seine Familie mit der Zeit ihren Weg in den Adel erkaufen und durch Heirat verschaffen konnte, und auch Ida wußte dies, auch wenn sie es bedauerte. Der junge David war vom Anblick des Ritters völlig verzaubert; seinen Vater betrachtete er von nun an als einen sehr gewöhnlichen Mann und verachtete ihn insgeheim – Idas jüngstes Geschenk an ihren Mann.
    All dies sah auch Bruder Michael, und es machte ihm schwer zu schaffen, aber richtig entsetzt war er erst bei seinem nächsten Besuch bei der Familie. Nach dem Essen verließ er mit seinem Bruder und dem Jungen die Halle. Ida wollte noch einen Blick in die Speisekammer werfen; die alte Mutter schlief in einer Ecke, der Ritter blieb schweigend am Tisch sitzen. Rein zufällig kehrte Bruder Michael noch einmal in die Halle zurück und sah dann etwas, was ihn schwer traf.
    Godefroi stand da, ruhig und unbewegt. Ida war wieder in die Halle gekommen und stand vor ihm, während sie leise etwas zu ihm sagte. Dann berührte sie den Ritter am Arm. Bei dieser winzigen Geste kam es Bruder Michael vor, als wisse er alles. Bleich verließ er den Raum.
    In dieser Nacht hatte er einen schrecklichen Traum. Er sah Idas blassen Körper in enger Umarmung mit dem des Ritters. Er wachte auf, überkommen von einer kalten Angst, und fand keinen Schlaf mehr. Er lief fünf Stunden bis zum Morgengrauen in seiner Zelle auf und ab, ständig das schreckliche Bild vor Augen, wie Ida den fremden Ritter liebte.
    Bald nach dem Morgengrauen überquerte er Smithfield und ging dann hinunter nach St. Paul's, wo eine Glocke zur Prim rief. Da sah er auch Godefroi näherkommen. Unbewegt hörte sich der Ritter an, was Bruder Michael ihm zu sagen hatte. »Ihr bezichtigt mich also des Ehebruchs, Mönch?« fragte er nur kühl. »Wollt Ihr damit sagen, daß ich besser gehen sollte? Das habe ich nicht nötig!« Damit begab er sich in die Kirche.
    Hatte sich Bruder Michael geirrt? Hatte er den frommen Ritter zu Unrecht verdächtigt? Verwirrt kehrte Michael in sein Kloster zurück und wußte gar nicht mehr, was er nun denken sollte.
    Drei Tage später schickte sich Godefroi zum Aufbruch an. Ida bot ihm ihren Handschuh als Pfand für seine Reise an – eine höfische Geste aus der Ritterwelt, die er ernst zurückwies, indem er sie daran erinnerte, daß er ja schließlich ins Heilige Land pilgerte. Bruder Michael stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    Nach der Abreise des Ritters wirkten Ida und der junge David zunehmend unruhig. David zeigte sogar Zeichen körperlichen Unwohlseins, und seine Schulleistungen fielen ab. So bat der Alderman nach einer Weile Bruder Michael, seinem Sohn ein wenig zu helfen.
    Bruder Michaels Kenntnisse von der Welt waren typisch für einen Mann mit bescheidener Bildung in jener Zeit: eine nette Mischung aus Fakten und Volksglauben, die er sich aus der Bibliothek der Westminsterabtei geholt hatte. Er konnte seinem Neffen die Zusammensetzung Europas, die Häfen und Flüsse, die Städte und heiligen Orte erklären. Er wußte viel von Rom und dem Heiligen Land. Aber an den Rändern dieser riesigen mittelalterlichen Welt begann sein Wissen in den Bereich der Fabel auszuufern.
    »Südlich des Heiligen Landes liegt Ägypten«, informierte er David durchaus richtig. »Von dort aus hat Moses die Juden durch die Wüste geführt. Und an der Mündung des großen Nils liegt Babylon.« So hieß Kairo in der Welt des Mittelalters.
    »Und wenn man den Nil flußaufwärts reist?« fragte der Junge wißbegierig.
    »Dann kommt man nach China.« So hatte es Michael in einem Buch gelesen.
    Die Kirche St.-Lawrence-Silversleeves war

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