London
seines Onkels zurück mit der Entschuldigung, daß es doch so schön sei, in der Stadt den Frühling in voller Blüte zu erleben.
Bruder Michael wußte, daß es seine Aufgabe war, die Seele des Jungen zu retten. Schließlich hatte Gott David vor dem Tod bewahrt, und dafür gab es sicher einen Grund. Und noch etwas wurde ihm klar: Die göttliche Vorsehung hatte ihm die Mittel dazu anvertraut: das Geld seiner Mutter. Die Umstände entsprachen genau ihren Vorstellungen. Das Geld würde dem religiösen Wohl der Familie dienlich sein.
Mitte Juni begab er sich zur Westminsterabtei, bat um ein Gespräch mit dem Abt und regelte alles mit ihm. Nachdem er sein Leben ganz der Arbeit im Bartholomew's gewidmet hatte, hatte er nun das Gefühl, sich eine Rast verdient zu haben. Zumindest konnte er dann auch noch ein Auge auf David werfen.
An einem angenehmen Maiabend stellte Bruder Michael seinem Neffen die kritische Frage: »Ich glaube, du bist zum religiösen Leben berufen. Wie denkst du darüber?« David errötete vor Freude und rief dankbar: »O ja, das glaube ich auch!«
»Wenn du in die große Westminsterabtei eintrittst, werde auch ich dort sein und über dich wachen.«
Michael war glücklich. Er zweifelte zwar nicht daran, daß sein Bruder ärgerlich sein würde, aber er erinnerte sich auch daran, wie gebrochen Bull gewesen war ob der Aussicht, seinen Sohn zu verlieren, und deshalb hegte er nun die Hoffnung, daß das Herz des ungläubigen Kaufmanns sich vielleicht doch erweichen lassen würde. Zumindest konnte Bull froh sein, daß sein Sohn sich in einem nahe gelegenen Kloster in Sicherheit befand. Und Michael hegte nicht den geringsten Zweifel daran, daß Ida seine Freude und Dankbarkeit teilen würde, wenn sie ihren Stiefsohn sicher im Schoß der Kirche wüßte. Im Juni würden die beiden zurückkehren, und so wartete Bruder Michael nun zwar nervös, doch auch hoffnungsvoll darauf, ihnen die wunderbaren Neuigkeiten mitzuteilen.
Aber Idas blasses, vornehmes Gesicht versteinerte sich, und sie bedachte ihn mit größter Verachtung, als sie die Neuigkeiten erfuhr. »David ein Mönch? Wie sollte er da jemals Kinder haben?«
»Wir sind doch alle Kinder Gottes«, erwiderte Michael geknickt.
»Gott braucht meinen Stiefsohn nicht«, gab sie ihm wütend zurück. »Er wird in eine adlige Familie einheiraten.«
Nun regte sich auch in Michael die Wut. »Ihr würdet also Euren Familienstolz vor Gott und das Glück Eures Sohnes stellen?«
»Darüber laß andere urteilen, du intrigante alte Jungfer!« kreischte sie. »Verlasse auf der Stelle dieses Haus, und kehr zurück zu deinen elenden Krüppeln!«
Eine Stunde später, nach einem hastigen Gespräch mit ihrem Mann, in dem sie zu bestem Einverständnis gelangt waren, machten sich Sampson und Ida wieder nach Bocton auf, und zwar mit David im Geleit.
Doch die schlimmste Erniedrigung erfuhr Bruder Michael an diesem Nachmittag im Kloster von St. Bartholomew's, als er seine Sorgen mit Mabel besprach. »Ich habe doch versucht, dich vor einer widernatürlichen Liebe zu warnen!« sagte sie.
Bruder Michael dachte an die Verachtung, mit der Ida ihn behandelt hatte. »Ich glaube nicht, daß ich sie noch liebe.«
Mabel verzog das Gesicht. »Sie? Du meinst Ida?«
»Wen denn sonst?« Überrascht blickte er auf.
»David natürlich! Den Jungen. Du hast dich doch in den Jungen verliebt, oder etwa nicht?«
Kurz verschlug es Bruder Michael die Sprache, dann wallte eine immense Wut in ihm auf. Aber bevor er diese noch in Worte fassen konnte, merkte er plötzlich entsetzt, daß Mabel recht hatte und er es in seiner Unschuld einfach nicht hatte wahrnehmen wollen. Von Gram und Scham gebeugt stand er auf und schlurfte wie ein alter Mann in seine Zelle.
In Bocton wurde David vollends gesund. Er liebte das alte Anwesen und den herrlichen Ausblick; er unternahm lange Spaziergänge in den Wäldern und Feldern mit seinem Vater; er las Rittergeschichten mit Ida, die als Herrin des Landgutes in ihrem Element war. Vielleicht ließen ihm die Geister seiner Vorfahren etwas von ihrer Kraft zukommen. David war noch nie so zufrieden gewesen, und dasselbe ließ sich wohl auch von Ida und seinem Vater behaupten. Durch die von Davids Krankheit verursachte Krise waren sie sich nähergekommen. Nun wirkten sie zum erstenmal wie ein glücklich verheiratetes Paar, ob sie nun über Renovierungsarbeiten an dem alten Gebäude sprachen, gemeinsam durch den Obstgarten spazierten oder einfach nur friedlich
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