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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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nebeneinander auf einer Bank in der Sonne saßen und den Blick auf den Weald genossen.
    Die von dem treulosen Prinzen Johann angezettelten Unruhen schienen sich gelegt zu haben. Im Juli hatte der Erzbischof von Rouen einen Frieden zwischen Johann und Longchamp vermittelt. In England war es wieder ruhig. König Richard, so hieß es, erfreue sich bester Gesundheit auf seinem Kreuzzug und habe im August eine hübsche Prinzessin geheiratet.
    Einmal kam Silversleeves aus London angereist, um mit dem Kaufmann zu reden, und David lauschte ihrer Unterhaltung mit großem Interesse.
    »War es klug von Richard, diese Prinzessin zu heiraten?« fragte Bull.
    »Ich denke schon«, erwiderte Silversleeves. »Sie kommt aus Navarra, was südlich von Aquitanien liegt; durch diese Verbindung schmälert Richard die Möglichkeiten des französischen Königs, ihn aus dieser Richtung anzugreifen.«
    David war leicht verwirrt. Wie seine sächsischen Vorfahren sah er die Dinge am liebsten ganz eindeutig. Entweder war jemand ein Freund oder ein Feind; beides zusammen ging doch nicht. »Aber König Richard und der König von Frankreich sind doch Freunde?« fragte er. »Sie ziehen doch gemeinsam in den Kreuzzug?«
    Silversleeves lächelte traurig. Angesichts der Größe des Plantagenet-Reiches, das sich im Westen Frankreichs erstreckte, konnten die Könige von Frankreich und die Plantagenets nie mehr als nur vorübergehende Freunde sein. »Er ist nur im Moment Richards Freund«, erklärte er.
    »Ich würde für König Richard sterben!« verkündete David. »Ihr etwa nicht?«
    Silversleeves zögerte nur eine Sekunde, dann antwortete er lächelnd: »Natürlich, ich bin doch ein Mann des Königs.«
    Es war schon lange her, daß Pentecost Silversleeves einmal richtig panisch gewesen war, aber nun, am Nachmittag des fünften Oktober, stand er kurz davor. In der linken Hand hielt er eine dringende Aufforderung seines Herrn und Patrons, in der rechten ein weiteres Dokument, das ebenso erschreckend war. Beides stellte ihn vor die schreckliche Frage, auf welche Seite er sich nun begeben sollte.
    Die Krise war Mitte September ausgebrochen, und deshalb war die Michaeli-Sitzung des Schatzamts in das fünfzig Meilen entfernte Oxford verlegt worden. Aber dieser ruhige Burgenort mit seiner kleinen Gelehrtengemeinde schenkte Silversleeves auch keinen Frieden. Der Grund für dieses unglückselige Geschäft war ein unehelich geborener Sohn, das Problem lag darin, daß dieser zum Erzbischof von York ernannt worden war.
    Natürlich war es nicht ungewöhnlich, daß die unehelichen Söhne des Königs Bischöfe wurden. Damit hatten sie ein Einkommen und einen Aufgabenbereich. Die Ernennung eines der vielen Söhne Heinrichs II. zum Erzbischof hätte kaum eine Rolle gespielt. Doch nun hatte er sich, wie jedermann wußte, auf Johanns Seite geschlagen, und König Richard hatte ihm ausdrücklich untersagt, England zu betreten. Im vergangenen Monat war er dennoch in Kent gelandet; der Kanzler hatte ihn aufgefordert, seine Treue zu schwören; der gerissene Bursche hatte sich geweigert. Und dann hatte Longchamp den Fehler begangen, ihn in den Kerker zu werfen.
    Das Ganze war eine vorsätzliche Falle gewesen, meinte Pentecost, und sein Herr war hineingestolpert. Zu Johanns großer Freude war es zu einer öffentlichen Empörung gekommen. Der Erzbischof wurde bald wieder freigelassen, doch nun wurde er als Märtyrer gefeiert, wie Becket. Johann und seine Anhänger hatten protestiert, und nun fand eine große Ratsversammlung auf der Hälfte des Weges zwischen London und Oxford statt, zu der Longchamp geladen war, um sein Vorgehen zu erklären. »Diesmal werden sie ihn packen«, stöhnte Silversleeves.
    Noch waren viele Mitglieder des Rats Johann gegenüber unsicher. Der Kanzler hatte noch immer mehrere Burgen einschließlich Windsor. Wie immer würde London eine Schlüsselposition einnehmen. Wohin würde die Stadt sich wenden? Silversleeves war nicht überrascht, daß sein Herr ihn nun sofort nach London zitiert hatte.
    Aber was hatte es mit dem Pergament in seiner anderen Hand auf sich? Auf den ersten Blick wirkte es wie ein ganz normales Dokument aus dem Schatzamt. Doch wenn man auf eine der Ecken blickte, sah man in einem Großbuchstaben eine sorgfältig gemalte, böse Karikatur des Kanzlers, ein wahres Meisterwerk. Longchamp sah aus wie ein fleischiger Wasserspeier, aus seinem Mund tropfte es heraus, als habe er mehr in sich hineingeschlungen, als er behalten konnte. Keiner

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