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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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mehr von ihnen«, erklärte er wütend. Er zog nach Southwark, wo er einen kleinen Marktstand errichtete, mit dem er jedoch keinen Erfolg hatte. Danach fand er in einer Kneipe Arbeit, heiratete eine Bedienung und zeugte im Lauf der Zeit eine Horde von Kindern, die alle barfuß in den Straßen herumliefen. Innerhalb einer einzigen Generation war die stolze Londoner Familie, die zwar bescheiden, doch immerhin als Londoner Bürger gelebt hatte, in die unterste Schicht abgerutscht. Die zwei Schwestern gehörten zu einer Familie mit fünf Kindern, und sie hatten ein Dutzend Cousinen. Sie alle lebten in Southwark, waren ausnahmslos munter, nicht unterzukriegen und mit einem schlechten Ruf behaftet.
    Sie trugen den Namen Ducket, bis auf die Zwillingsschwestern, denen ihr Ruhm einen Künstlernamen eingebracht hatte. Sie waren so bekannt und hatten so starke Bindungen an die Stätte ihres Wirkens, daß man angefangen hatte, sie als »Dog's-Head-Mädchen« zu bezeichnen. Daraus wurde dann Dogget, ein Name, der ihrem eigentlichen Familiennamen nicht unähnlich war.
    Die Dogget-Schwestern hatten ein gutes Herz, und sie liebten das Abenteuer. Als sie vor zwei Tagen die bitter weinende Joan vor St. Paul's hatten stehen sehen, hatten sie ihr ihre Geschichte entlockt und waren sofort fasziniert davon. »Wir müssen ihr helfen«, beschlossen sie einstimmig. Und dann heckten sie den ungewöhnlichen Plan aus, der bislang bestens funktioniert hatte.
    Das Problem war nur, daß sie Joan in der letzten Stunde völlig vergessen hatten, und zwar wegen Margery. Die Schwestern hatten sich an einen ruhigen Fleck, eine Meile von Bankside entfernt, zurückgezogen und starrten bedrückt auf die kleine, rote Stelle.
    »Tut es weh?« fragte Isobel. »Nein, es brennt nur ein wenig«, sagte Margery. »Dann ist es das«, sagte Isobel. »Sie werden es bald sehen.« Der Büttel des Bischofs und seine Helfer inspizierten alle Mädchen einmal im Monat. Wer eine Krankheit hatte, wurde aus Liberty hinausgeworfen. Selbst Bestechungen nutzten nichts. Einer der Vorteile, daß die Kirche die Bordelle leitete, war, daß die Inspektionen des Bischofs gründlich waren. Und Margery hatte eindeutig die Brennkrankheit.
    Es war eine Form der Syphilis, wenn auch nicht so schwer wie die Form, die in späteren Jahrhunderten auftauchte. Es ist nicht sicher, wann diese Krankheit zum erstenmal nach England kam; vielleicht ist sie von zurückkehrenden Kreuzfahrern eingeschleppt worden, aber es weist einiges darauf, daß es sie schon in der Zeit der Sachsen gab.
    Wenn Margery das Bordell verlassen mußte, hatte sie keine Verdienstmöglichkeiten mehr. »Ich wünschte, der König hätte nicht die ganzen Juden rausgeworfen«, klagte sie. An der Bankside war man sich einig, daß der alte jüdische Doktor der Beste gewesen war. Ob es nun darauf zurückzuführen war, daß sie einen besseren Zugang zum alten Wissen der klassischen Welt und des Mittleren Ostens hatten oder ob sie einfach nur eine bessere Ausbildung erhielten und weniger abergläubisch waren – aus der jüdischen Gemeinde waren oft genug die besten Arzte gekommen. Der alte jüdische Arzt an der Bankside hatte gewußt, wie man die Brennkrankheit mit Quecksilber behandelte. Jetzt kannte keiner mehr diese Methode.
    Die jüdische Gemeinde war komplett verschwunden. Seit dem gegen die Juden gerichteten Aufstand am Krönungstag von König Richard, also seit rund hundert Jahren, waren die Haßgefühle gegen die Juden in England stetig gewachsen. Der allmähliche Prozeß der Verfolgung war ursprünglich gar nicht durch die finanziellen Aktivitäten der Gemeinde verursacht worden. Natürlich bezeichneten einige Kirchenphilosophen die Zinserhebung als Wucher und deshalb als Sünde, doch selbst die bischöflichen Verwalter und die Äbte der großen Klöster scheuten sich nicht, bei den Juden hohe Anleihen zu machen. Sogar ein großer Umbau an der Westminsterabtei wurde auf diese Weise finanziert.
    Aber drei Dinge hatten gegen sie gesprochen. Erstens führte die Kirche in ganz Europa schon seit längerer Zeit eine Kampagne gegen die Juden auf der Grundlage religiöser Argumente; zweitens hatten sie sich wie alle Kreditgeber bei vielen Baronen und anderen Schuldnern unbeliebt gemacht; und schließlich wandte sich auch der König gegen sie. Die Herrschaft Heinrichs III. des Sohnes König Johanns, hatte über fünfzig Jahre gedauert, die seines Sohnes Eduard nun auch schon wieder fast fünfundzwanzig Jahre. Beide hatten häufig Geld

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