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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wenn sie Adam fast wie eine Mutter gewesen war. »Es ist zwar schrecklich, aber Lucy kann dich nun nicht mehr heiraten. Du bist kein Bürger.«
    So hatte sich Pentecost Silversleeves nach einer sehr langen Wartezeit endlich doch noch rächen können.
    1224
    Zweifellos ging es wieder bergauf. Schwester Mabel, die inzwischen fünfundsiebzig Jahre alt war, betrachtete die Welt um sich herum mit großer Zuversicht.
    England war befriedet. Nach einem ständigen Streit zwischen den Baronen und dem König war Johann plötzlich gestorben. Er hatte einen Sohn hinterlassen, der nun, weil er noch sehr jung war, mit Hilfe eines Regentschaftsrats das Land regierte. Der Rat leistete gute Arbeit. Die Magna Charta und die darin verankerten Freiheiten waren noch zweimal bestätigt worden. London hatte einen Bürgermeister. Zwar war es den Londonern nicht gelungen, die Gemeindesteuer zu vermeiden, aber die neue Regierung ließ sich nicht auf fremde Kriege ein und hatte es nicht nötig, hohe Abgaben zu fordern. Sogar mit dem Papst hatte man sich geeinigt, worüber Mabel sich besonders freute.
    Auch in London hatte es in letzter Zeit einige Verbesserungen gegeben. Über dem Kirchenschiff von St. Paul's hatte man eine große Kuppel errichtet, die dem massigen Gebäude Anmut und Würde verlieh. Mabel freute sich auch über die zwei neuen religiösen Gruppen in der Stadt, die nun damit beschäftigt waren, ihre bescheidenen Unterkünfte zu errichten: die Anhänger des heiligen Franz, die Franziskaner oder Greyfriars, und die Dominikaner, die Blackfriars.
    »Ich mag die Friars«, pflegte Mabel oft zu sagen. »Sie tun etwas.« Die Franziskaner, die sich vor allem der persönlichen Armut verpflichtet hatten, kümmerten sich um die Armen, die Blackfriars um den Schulunterricht. Mabel mochte vor allem die Greyfriars. »Solange wir uns alle darum bemühen, wird alles besser werden«, sagte sie oft. Mit diesem Gedanken hatte sie sich auch an ihr heutiges Tagewerk gemacht.
    Sie waren schon ein merkwürdiges Paar, wie sie sich da langsam vorwärts bewegten. Mabel, noch immer stark und voll Energie, auch wenn sie etwas langsamer geworden war, neben ihr die dürre, stocksteife Gestalt, die ihren Arm umklammerte. Doch so dünn und gebeugt Silversleeves auch war, er wirkte noch immer, als habe er das ewige Leben.
    Er war völlig blind, und jede Woche ging Mabel mit ihm spazieren. Zuerst setzte sie ihn auf seinen sanften kleinen Zelter und führte ihn zu einem passenden Fleck, dann lief sie ein paar Schritte mit ihm, bevor sie ihn wieder heimbrachte.
    Heute wollte sie ihn zur London Bridge führen. Anstelle der alten Holzbrücke sah man nun eine neue Steinbrücke kurz vor ihrer Fertigstellung. Es hatte lange genug gedauert. Dreißig Jahre waren vergangen, bevor eine Straße die großen Piers verband, und dann war diese vom Feuer zerstört worden, und die Arbeiten mußten von vorn anfangen. Aber nun überquerten neunzehn große Steinbögen die Themse, und die auf ihnen ruhende Brücke war vor kurzem so verbreitert worden, daß nun Häuser darauf standen und die Straße zwischen diesen Häusern noch immer breit genug war, daß zwei Karren sich kreuzen konnten. In der Mitte der Brücke gab es eine kleine steinerne Kapelle, die Thomas Becket, dem Stadtheiligen, der einen Märtyrertod gestorben war, gewidmet war.
    Sie ließen das Pferd an der Kirche St. Magnus am Nordende der Brücke stehen, und Mabel führte den alten Mann zu Fuß über die Brücke.
    »Wo sind wir? Was ist das für eine Straße?«
    »Die Straße zum Himmel. Oder zur Hölle.«
    »Ich will wieder zurück. Du führst doch etwas im Schilde«, beschwerte er sich. Und recht hatte er. Mabel hatte eine Mission, die mit ihrem armen alten Bekannten, dem Kustos von St.-Lawrence-Silversleeves, zu tun hatte. Der Mann war schon vor langer Zeit gestorben, und auch seine Frau lebte nicht mehr. Eine Tochter war schwerkrank, sie war im Krankenhaus aufgenommen worden; die andere fristete ein jämmerliches Dasein in einer schäbigen Hütte nicht weit von der Kirche. Die Familie Silversleeves weigerte sich, etwas für sie zu tun. Mabel hatte sich bei Pentecost und seinen Kindern beschwert, aber nichts war geschehen. Doch sie hatte sich geschworen, für die Tochter des Kustos etwas zu tun. Und da ihr die kleine Kapelle auf der Brücke so gut gefiel, hatte sie beschlossen, den alten Mann heute hierher zu führen. Dort angekommen, geleitete Mabel Silversleeves zu einer Bank.
    »Was ist das für ein Ort?«
    »Eine

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