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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Innerhalb dieses Anwesens gab es auch ein kleines, stets gefülltes Gefängnis, den Clink. Das ganze Gebiet, der Bischofspalast, der Clink, sämtliche achtzehn Bordelle und die stattlichen Profite, die diese erwirtschafteten, gehörten dem Bischof.
    Das Gebiet südlich der London Bridge war schon immer selbständig gewesen. Seit der längst vergessenen Römerzeit trafen sich an der Brücke die Straßen von Dover und Canterbury mit den anderen Straßen aus dem Süden, um den Fluß an dieser Stelle zu überqueren. Seit der Zeit der Sachsen trug dieses Gebiet den Namen Southwark und bildete einen eigenständigen, von der Stadt unabhängigen Bezirk. Als solcher war es auch ein Zufluchtsort, in dem Vagabunden und Leute, die Arger mit dem Gesetz hatten, meist unbehelligt blieben. Der Borough Southwark zog sich ein gutes Stück den Fluß entlang. An der London Bridge gab es einen Markt, westlich davon eine alte Kirche, St.-Mary-Overy, von der aus eine Fähre den Fluß überquerte. Dann kam der Palast des Bischofs und die Bankside. Die Bordelle gab es schon so lange wie den Borough, hieß es. Tatsächlich waren sie oft noch unter ihrem sächsischen Namen bekannt – hor-has, also Hurenhäuser.
    Das Anwesen des Bischofs in Southwark war sehr groß. Wie die alten privaten Bezirke, die es früher einmal gegenüber in der City gegeben hatte, war es ein feudaler Herrensitz, innerhalb dessen Umgrenzung der Bischof Recht sprach und als absoluter Herrscher regierte. Da eine solche Rechtsprechung auch als »Freiheit« bekannt war und es hier ein Gefängnis gab, das den Namen Clink trug, hieß das gesamte Anwesen selbst in offiziellen Dokumenten »Liberty of the Clink«.
    »Liberty of the Clink« stand unter einer straffen Herrschaft. Vor fast eineinhalb Jahrhunderten, unter der Herrschaft Heinrichs II. hatte der Bischof von Winchester, der zufällig auch noch Erzbischof von Canterbury war, mit Hilfe seines fähigen Assistenten eine Reihe von Regeln zur Leitung des Anwesens aufgestellt; diese Aufstellung, in Lateinisch und Englisch verfaßt, wurde in der Diakonatsbibliothek aufbewahrt. Die Regeln des Bischofs von Winchester waren so hervorragend, daß sie auch später noch zum Einsatz kamen, als die Stadt London die Erlaubnis erhielt, in der Cock's Lane nahe St. Bartholomew's eigene Bordelle zu errichten. Die Prostituierten wurden im Volksmund als »Winchester-Gänse« bezeichnet. Der Assistent des Erzbischofs war niemand geringerer als der berühmte Londoner Thomas Becket.
    Nun traten der Bordellbetreiber und seine Frau vor Joan. Er war ein großer, kahlköpfiger Mann mit einem schwarzen Bart, sie eine stämmige Frau, deren breites, gelbliches Gesicht Joan an schwitzenden Käse erinnerte. Sobald sie die beiden sah, erriet sie, was nun kommen würde. »Ihr habt mir versprochen…«, brach es aus ihr heraus. Doch die beiden grinsten nur. Joan war ihnen ausgeliefert.
    Verzweifelt blickte sich das Mädchen um. Wo waren die Dogget-Schwestern? Diese hatten sich das Ganze ausgedacht, und sie hatten ihr auch versprochen, sie zu beschützen. Wo steckten sie nur?
    »Da ist ein Kunde für dich, mein Liebes«, sagte die stämmige Frau.
    Die Dogget-Schwestern waren in ganz Southwark bekannt. Die eine hieß Isobel, die andere Margery, aber niemand wußte, wer welche war, denn Margery und Isobel waren eineiige Zwillinge. Sie waren groß und schlank und hatten dichtes, schwarzes Haar, große, schwarze Augen und Stimmen, die, wenn sie lachten, überraschend tief klangen, wie das Wiehern eines Esels. Mit ihren schlanken Körpern und ihren großen, runden Brüsten besaßen sie eine bemerkenswerte sexuelle Anziehungskraft. Und als ob dies alles nicht gereicht hätte, sie zu kennzeichnen, hatten beide auf der Stirn inmitten ihrer schwarzen Zotteln eine weiße Haarsträhne.
    Sie zogen immer die gleichen Kleider an; sie hausten in nebeneinanderliegenden Zimmern im Dog's Head, und wenn ein Kunde es wünschte, dann waren sie auch gerne bereit, sich ihm gemeinsam zur Verfügung zu stellen.
    Die Dogget-Schwestern gehörten zu einem kleinen Stamm, der sich in Southwark breitgemacht hatte und der seine Existenz einem einfachen menschlichen Fehler verdankte. Vor achtzig Jahren, als Adam Ducket die Freiheit, ein Londoner Bürger zu sein, verlor, hatte er eine dumme Entscheidung getroffen. In seiner Verletztheit und Verbitterung schlug er das Angebot der Barnikels, ihm zu helfen, aus. »Wenn sie mich nicht für ihre Tochter wollen, dann will ich überhaupt nichts

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