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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Königreich gab, und bei weitem die wichtigste. Abgesehen von der alltäglichen Abnutzung und dem Bedarf, den der ständig wachsende Handel mit sich brachte, waren die alten Münzen aus der vorherigen Herrschaft abgewertet worden; König Eduard ließ neue Münzen prägen, die den Handel und den Ruhm seines Königreichs in ganz Europa fördern sollten.
    Silversleeves kannte als Münzbeamter inzwischen alle Abläufe der Münzherstellung. Es gab die Prüfstelle, in der die Münzen für das Schatzamt geprüft wurden. Dies geschah, indem sorgfältigst gewogen, geschmolzen und dann mit geschmolzenem Blei vermischt wurde, wodurch jegliche Unreinheiten auf den Boden sanken, so daß der wahre Silbergehalt der Münzen und Barren festgestellt werden konnte. Es gab riesige Kessel mit geschmolzenem Metall, das Silversleeves' rotes Gesicht noch röter glühen ließ; es gab die Formen, in denen die Rohfassungen der Münzen hergestellt wurden, und die Prägestöcke, die dazu dienten, mit einem einzigen, wohlplazierten Hammerschlag das Rohprodukt mit der Prägung zu versehen.
    Dann gab es Räume, in denen die Münzen gezählt wurden – die Farthings, von denen vier einen Penny ergaben; die Silberpennies und ein Neuzugang bei Englands Münzen, ein kostbares, schweres Vierpennystück, der Groat. Ob es nun darauf zurückzuführen war, daß hier ständig etwas los war, oder darauf, daß es um Geld ging, was er innig liebte – Dionysius Silversleeves schätzte sich glücklich, hier zu arbeiten.
    Außerdem mußte er sich um nichts sonst auf der Welt kümmern. Er hatte zwei ältere Brüder, die für den Bestand der Familie sorgten. Sie waren keineswegs mehr so reich wie in früheren Generationen und hatten den Weinhandel inzwischen aufgegeben. Doch sie hatten noch immer mehr als genug Geld, um für ihre alte, verwitwete Mutter zu sorgen. Wenn Dionysius am Abend seine Wirkungsstätte verließ, konnte er dem Vergnügen frönen, das er am meisten schätzte: Er stieg den Frauen nach.
    Zum Glück gab es genügend Dirnen, denn die meisten anderen Frauen würdigten ihn kaum eines Blickes. Auf der Bankside oder in der Cock's Lane gab es kaum ein Bordell, in dem er nicht bekannt war, und auch in einer kleinen Gasse am West Cheap, der Gropeleg Lane, in der ein paar nicht registrierte Huren hausten, ließ er sich regelmäßig blicken.
    Heute wollte Dionysius wieder einmal zur Bankside. Er freute sich auf etwas ganz Besonderes: eine Jungfrau. Der Bordellbetreiber hatte im letzten Moment auch noch an Silversleeves gedacht, und nun überquerte dieser frohgemut die Zugbrücke über den Towergraben.
    Es war bereits dunkel, die Ausgangssperre war schon eingeläutet worden; alle Fähren waren vorschriftsmäßig am Londoner Ufer vertäut, damit die Diebe aus Southwark nicht über den Fluß hinweg heimlich in die Stadt eindringen konnten; an der Brücke stand ein Wächter.
    Im Dog's Head wurden die Lampen entzündet. Der Bordellbetreiber hatte Silversleeves völlig vergessen; er wärmte sich an dem Kohlenbecken, das in der Mitte des niedrigen Zimmers stand, in dem die Mädchen ihre Kunden empfingen. Fast alle Mädchen waren schon in ihren Kammern, denn am Spätnachmittag waren einige Kunden einschließlich zwei Volksvertretern des Londoner Parlaments ins Dog's Head gekommen, um sich noch ein letztes Mal dem Vergnügen hinzugeben, bevor das Bordell offiziell geschlossen wurde. Nur zwei Mädchen und Isobel Dogget saßen in dem Zimmer, das Silversleeves nun betrat. Grinsend fragte er: »Und wo steckt die Jungfrau?«
    Der Bordellbetreiber blickte auf Isobel, die den Kopf schüttelte. »Es tut mir leid, mein Herr, aber sie ist nicht verfügbar«, sagte er. »Und die Sperrstunde ist auch schon eingeläutet worden. Ihr seid zu spät.« Dies war natürlich ein Argument. Sobald die Glocke geläutet worden war und die Fähren am Ufer lagen, sollten die Kunden die ganze Nacht bei den Mädchen verbringen. Damit wollte man verhindern, daß sie nachts die Straßen unsicher machten. Wenn Joan jetzt einen Kunden hatte, dann war sie in dieser Nacht nicht mehr zu haben. »Wie wär's denn mit einem der anderen Mädchen, Sir?« schlug er vor.
    »Diese alten Nutten kann ich jederzeit haben. Heute steht mir der Sinn nach Frischfleisch«, meinte Silversleeves grinsend. »Ich mache Euch einen Vorschlag: Sobald sie fertig ist, sagt Ihr ihrem Kunden, daß er sich noch eine andere holen kann, und zwar auf meine Kosten, und ich bekomme dann die Kleine.«
    Doch auch hierzu schüttelte

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