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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Richter würde ich zwar lieber nur unter vier Augen erzählen, daß ich dich gehabt habe«, fügte er noch hinzu, als ihm plötzlich seine Frau einfiel, »aber ich glaube, es reicht schon, wenn der Bordellbetreiber denkt, daß es so war.«
    »Und noch eines«, sagte sie. »Wenn Martin wieder auf freiem Fuß ist, müßt Ihr ihm unbedingt sagen, was tatsächlich passiert ist!«
    Bull grinste. »Selbstverständlich«, sagte er. Und als er und das Mädchen wieder vor das Haus traten, stand doch da tatsächlich Barnikel, der verdammte Fischhändler, und tobte, weil er herausgefunden hatte, daß Bull ihm zuvorgekommen war. Welch wundervoller Zufall! Die Rache war so süß, daß Bull nun, als er die Brücke überquerte, so zufrieden war, als habe er ein Dutzend Jungfrauen gehabt.
    Auch Joan war zufrieden. Sie hatte keine Eile, ins Dog's Head zurückzukommen. Sie lief ein Stück am Flußufer entlang bis zur Kirche St. Mary-Overy, in die sie eintrat, um ein kleines Gebet für Martin Fleming zu sprechen. Schließlich – es begann bereits zu dämmern an diesem grauen Novembertag – kehrte sie wieder zurück.
    Dionysius Silversleeves starrte den Löwen an und knurrte. Der Löwe schüttelte seine struppige Mähne und knurrte zurück. Silversleeves rückte mit seinem langnasigen Gesicht noch ein wenig näher heran, entblößte seine gelben Zähne und stieß ein lautes Brüllen aus.
    Der Löwe wurde wütend. Er attackierte die Stangen seines Käfigs mit seinen Pranken und brüllte schließlich so laut, daß es im ganzen Tower widerhallte.
    »Du würdest mich wirklich gerne fressen, oder?« meinte Silversleeves schadenfroh. Er pflegte dieses Ritual jeden Abend nach der Arbeit, und nur weniges in seinem Leben machte ihm mehr Spaß.
    Dionysius Silversleeves war neunundzwanzig. Er hatte dunkles Haar, eine lange Nase und einen dürren Körper. Seine Wangen waren rot, seine Augen wäßrig, sein Gesicht pickelig. Die schrecklichen Pickel waren überall: auf seinem Nacken, auf seiner Stirn, auf den Schultern, am Kinn, auf seiner Nase in ihrer ganzen Länge; dort glänzten sie besonders stark, wenn er getrunken hatte. »Das sind die Säfte in meinem Körper«, pflegte er munter zu erklären. »Heiß und trocken, wie Feuer.« Vielleicht war es diese unausgewogene Kombination der Elemente, die ihn dazu bewog, die Löwen zu foppen.
    Der erste Londoner Zoo lag am äußeren Tor, gleich am Flußufer an der Westseite des riesigen Towerkomplexes. Der vorherige König hatte den Grundstein des Zoos gelegt, denn die Monarchen Europas pflegten sich gegenseitig wilde Tiere zum Geschenk zu machen. Vor Jahren hatte es einen Eisbären an einer Kette gegeben, ein Geschenk des norwegischen Königs, einmal auch einen Elefanten, der recht schnell gestorben war. Immer jedoch gab es Löwen und Leoparden in den Käfigen neben dem Turm am Eingang, der deshalb auch als Löwenturm bekannt war.
    Die Menagerie war nicht die einzige Neuerung. Während der letzten zwei Regentschaften hatten gewaltige Veränderungen an der alten Festung am Fluß stattgefunden. Der rechteckige Burgfried des Eroberers stand nun in der Mitte eines großen, offenen Platzes. Um ihn herum war eine Festungsmauer mit Zinnen und einer Reihe von Spähtürmen errichtet worden. Dies war der innere Bezirk. Außerhalb dieses Bezirkes lag auf den drei landeinwärts gelegenen Seiten ein breiter Korridor, der Außenbezirk, der von einer weiteren, bemerkenswerten Festungsmauer umgeben war. Darum herum verließ ein tiefer, breiter Graben, der aus der Toweranlage eine Insel machte, die nur auf einer einzigen Zugbrücke und durch eine Reihe abgeschlossener Höfe und Türme, einschließlich des Löwenturms an der Westecke, erreicht werden konnte. Der Tower ähnelte stark den großen Burgen mit ihren Ringmauern, die Eduard vor kurzem hatte errichten lassen, um Wales zu sichern.
    Der fromme König Heinrich III. hatte beschlossen, dem großen normannischen Burgfried ein anderes Aussehen zu geben, und befohlen, sämtliche Außenwände zu kalken. Nun sahen die Londoner statt des grauen Steins eine große, weiße Burg am Flußufer funkeln. Noch lange, nachdem die Kalkfarbe sich wieder gelöst hatte, hieß die Burg White Tower.
    Erst vor zehn Jahren war die königliche Münze von ihrem alten Standort unterhalb von St. Paul's in den Tower umgezogen. Nun befand sie sich in ein paar Werkstätten im äußeren Bezirk zwischen den Wällen. Die Münze im Tower war eine der sechs Münzstätten, die es im ganzen

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