London
Alderman.
»Das war sie auch, heute morgen noch«, entschuldigte sich der Bordellbetreiber. »Ich dachte, Ihr würdet früher kommen, Sire«, fügte er hinzu.
»Das hätte ich auch getan, aber ich mußte noch bei König Eduard vorsprechen«, erklärte Barnikel und starrte Bull verächtlich an.
»Es hat sie doch bis jetzt nur ein Mann gehabt«, sagte der Bordellbetreiber.
»Und zwar ich«, bemerkte Bull zufrieden.
»Glaubt Ihr etwa, ich will sie nach diesem alten Scheißer haben?« brüllte Barnikel und funkelte den Patrizier haßerfüllt an. Als er das Mädchen an der Seite seines alten Feindes sah, der ihm zuvorgekommen war, war er viel zu stolz, um sich an sie heranzumachen. Doch was sollte er nun tun? Schließlich war er ja zum Feiern hergekommen, und dazu wollte er unbedingt eine Frau.
Genau in diesem Moment sah er die Dogget-Schwestern. »Ich nehme das Dogget-Mädchen«, brummte er. »Die, die ich immer habe, Margery.«
Die Schwestern sahen sich an und dachten nur an eins: Wenn der Alderman sich bei Margery etwas holte, würde sie dies teuer zu stehen kommen. Wahrscheinlich würden sie beide rausgeworfen werden. So trat also eine der beiden vor und sagte lächelnd: »Er will immer nur mich, nie meine Schwester. Na denn los, mein Guter!« Isobel sah keine großen Probleme; Margery hatte ihr schon längst erzählt, wie Barnikel es immer gerne hatte.
Die richtige Margery schickte sich nun an, sich bei der armen Joan zu entschuldigen. Schließlich hatten sie ihr ja versprochen, sie zu beschützen. Doch merkwürdigerweise entdeckte sie keinen Vorwurf in Joans Augen. Das Mädchen lachte sogar und küßte Bull auf den Mund. »Soll ich Euch noch bis zur Brücke begleiten?« fragte sie.
Kurz vor der Brücke verabschiedete sie sich von Bull. Sie wußte, daß sie großes Glück gehabt hatte. Viele Männer hätten sicher nur gelacht, wenn sie ihnen ihre Geschichte erzählt hätte, und hätten ihr nicht geglaubt. Doch Bull hatte nur kopfschüttelnd gemeint: »Das ist ja wohl die mutigste Geschichte, die ich je gehört habe. Na gut, dann helfe ich dir eben.«
Die Gesetze waren eindeutig. Abgesehen von einer Begnadigung konnte ein Verurteilter nur auf einem einzigen Weg dem Strick entkommen – wenn er von einer Dirne eingefordert wurde.
Der Ablauf war genauestens festgelegt. Die Frau mußte öffentlich in dem für ihren Berufsstand vorgeschriebenen gestreiften Kleid und der weißen Haube vor den Richter treten. In jeder Hand mußte sie eine Büßerkerze halten und sich dem Gefangenen als Braut anbieten. Wenn der Verurteilte gewillt war, sie zu heiraten, wurde er freigelassen, und danach fand sogleich die Hochzeit statt. Die Kirche betrieb zwar die Bordelle, billigte es aber dennoch, wenn eine Seele vor der Sünde gerettet wurde, und die Behörden waren derselben Meinung.
Der Plan der Dogget-Schwestern fußte auf dieser Regelung. Joan mußte einen Tag lang zur Prostituierten werden und offiziell im Dog's Head aufgenommen werden; ihr Name mußte bei dem Büttel registriert werden. Dann konnte sie ihren Verlobten zum Mann einfordern.
»Aber ich kann mich doch nicht auf diese Männer einlassen«, hatte das Mädchen protestiert. »Das könnte ich einfach nicht. Und Martin…« Sie hatte es nicht gewagt, ihm die Feinheiten ihres Plans zu erläutern. Er hätte ihn sicher abgelehnt.
»Wir werden dich beschützen«, hatten die DoggetSchwestern versprochen. »Wir schaffen es schon, daß du eine Nacht lang unberührt davonkommst.«
Joan glaubte zwar auch, daß die Behörden kaum nachfragen würden, wie lange sie eigentlich in dem Bordell gewesen sei. Schon allein die Schande, in dem verachteten Gewand als registrierte Hure aufzutreten, reichte aus, sie für den Rest ihres Lebens zu brandmarken. Aber sie fürchtete, daß der Richter seine Meinung ändern könnte, wenn er herausfand, daß sie niemals als Hure tätig gewesen war. Als sie dann vor Bull in dem kleinen Dachkämmerchen stand, war ihr der Gedanke gekommen, ihm ihre Geschichte einfach zu erzählen. Vielleicht würde sie ihm leid tun, und er würde sie nicht mehr haben wollen, und vielleicht würde er auch noch den Bordellbetreiber und sogar den Richter in dem Glauben bestätigen, daß sie ihre Rolle tatsächlich gespielt habe.
Als William Bull diese sonderbare, entschlossene kleine Person anstarrte, konnte er sich nur wundern. »Mein Gott, dein junger Mann kann aber wirklich von Glück reden!« bemerkte er, nachdem er ihr seine Hilfe zugesichert hatte. »Dem
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