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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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hatte Waldus Barnikel einen Grund, an diesem Nachmittag zu feiern. Und genau dies hatte er nun vor. Heute morgen hatte er eine Botschaft von der Bankside erhalten. Es ging um eine Jungfrau. Frohgemut machte er sich auf den Weg.
    Normalerweise besuchte er das Dog's Head einmal in der Woche. So hatte er es seit fast fünf Jahren gehalten, und er schlief stets mit einer der Dogget-Schwestern. Aber dieser Besuch an der Bankside war ohnehin schon fest eingeplant gewesen. König Eduard hatte nämlich eine große Wahrheit verstanden, die bei fast allen zukünftigen Legislativversammlungen immer wieder bewiesen werden sollte – Prostituierte und Politiker fühlen sich zueinander hingezogen. »Wenn ich hier einen Haufen Ritter und Volksvertreter in der Stadt habe«, beobachtete der König, »begeben die sich früher oder später zu den Huren und in Schwierigkeiten.« Deshalb waren die Bordelle an der Bankside offiziell geschlossen, wenn das Parlament in Westminster tagte. Und deshalb würde es vielleicht eine Weile dauern, bis Waldus wieder dorthin gehen konnte.
    Nur einmal machte er einen kleinen Halt. Von Westminster aus führte ein breiter, morastiger Weg am Flußufer entlang; nach etwa einer halben Meile bog er nach rechts ab, dort, wo die Themse ihre letzte Kurve bei Aldwych machte, um danach in ihrer langen Geraden bis hinter London hinauszufließen. An dieser Abbiegung stand ein großes, hübsch verziertes, steinernes Monument mit einem Kreuz. Hier sprach Barnikel ein kurzes Gebet.
    Das Kreuz war seit etwa fünf Jahren an dieser Stelle, seit König Eduards Frau, der er – höchst ungewöhnlich für einen König – sehr zugetan und obendrein auch noch treu gewesen war, oben im Norden gestorben war. Eine Gesandtschaft war losgeschickt worden, um ihren Leichnam nach Westminster zu überführen. Zwölfmal mußte für die Nacht unterwegs Rast gemacht werden; hier hatte sich der letzte Rastpunkt befunden, bevor der Leichnam offiziell in die Abtei Einzug hielt. König Eduard ließ an jedem Rastplatz ein steinernes Kreuz errichten. An der Wood Street im West Cheap gab es ein weiteres Kreuz. Und da dieser Punkt unter seinem alten englischen Namen Charing, also Abbiegung, bekannt war, hieß diese Gedenkstätte Charing Cross.
    Barnikel hielt am Kreuz an, weil seine eigene Frau, die ihm sieben Kinder geschenkt hatte, am Tag der Errichtung des Kreuzes bei der Geburt ihres achten Kindes gestorben war. Barnikel hatte sie sehr geliebt; er hatte nie einen Ersatz für sie gefunden und deshalb auch nicht mehr geheiratet, sondern es vorgezogen, einmal die Woche zur Bankside zu gehen. Wie er es stets auf seinem Weg zu tun pflegte, sprach er ein Gebet für seine Frau vor dem Charing Cross und ritt dann weiter zu seinem Stelldichein.
    Isobel und Margery wußten immer noch nicht, was sie nun tun sollten. Sie hatten einen Doktor in der Maiden Lane aufgesucht, der ihnen gegen ein kleines Bestechungsgeld versprochen hatte, den Mund zu halten. Er hatte ihre Befürchtungen bestätigt. »Lepra«, meinte er. Damit wurden alle ansteckenden Hautkrankheiten bezeichnet. Nachdem er die kranke Stelle in Weißwein gebadet hatte, gab er Margery eine Salbe und versicherte ihr, daß diese sie kurieren würde. »Sie besteht hauptsächlich aus Ziegenurin und wirkt hundertprozentig.«
    »Ich könnte mich ja eine Weile vom Dog's Head fernhalten«, sagte Margery, die noch nie von ihrer Schwester getrennt gewesen war. »Ich kann die Miete bezahlen, und morgen ist ohnehin geschlossen, wegen des Parlaments.« Doch meist bot der Bordellbetreiber diskrete Dienste an, für die er die Schwestern brauchte. »Ich werde beten«, verkündete Isobel.
    Isobel war sehr gläubig. Die Kirche gestand den Prostituierten nur ganz bestimmte Dienste zu. Sie konnten zum Beispiel die heilige Kommunion empfangen, durften aber nicht in geweihtem Boden bestattet werden. Isobel glaubte daran, daß Gott ihr ihre Sünden in dieser harten Welt vergeben und ihre Seele retten würde. Margerys Zustand durfte auf keinen Fall entdeckt werden. »Heute abend solltest du besser nicht arbeiten«, sagte sie.
    In ihren Nöten hatten sie die kleine Joan völlig vergessen. Als sie sich nun dem Bordell näherten, sahen sie das Mädchen draußen zwischen zwei Männern und dem Bordellbetreiber stehen. Offensichtlich war etwas schiefgelaufen.
    Waldus Barnikel war stinksauer, Bull lächelte milde, und der Bordellbetreiber wirkte beschämt.
    »Ihr habt mir eine Jungfrau angeboten«, donnerte der neuernannte

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