London
noch ein wenig Wein!«
Je später es wurde, desto glücklicher fühlte sich Dionysius. Dieses Mädchen war die erste frische, saubere Frau, die er je gehabt hatte. Sie saß noch immer auf seinem Schoß und hatte einen Arm um seine Schultern gelegt. Seine üblicherweise eher aggressive Stimmung begann einer Art Gutmütigkeit zu weichen. Der Raum schien in ein warmes, angenehmes Licht getaucht zu sein. Als Joan ihm flüsternd gestand, daß sie noch immer ein wenig nervös sei, tätschelte er beruhigend ihr Knie. »Wir lassen uns Zeit«, sagte er, und stimmte sogar ein Lied an. Und dann sangen sie alle ein paar Lieder und tranken noch ein bißchen mehr. Schließlich sank Joans Kopf auf seine Schultern, und sie machte es sich dort bequem, und auch sein eigener Kopf begann ein wenig schwer zu werden. Da stand er schwankend auf. »Zeit, nach oben zu gehen«, sagte er. Das Mädchen stolperte neben ihm her, und auch die beiden Doggets kamen mit, warum, war ihm nicht klar.
Als er nach draußen trat, traf ihn die Novemberkälte wie ein harter Schlag. Sie traf ihn so hart, daß er zu taumeln anfing, denn er hatte, ohne es zu wollen, wohl doch ein wenig zu viel getrunken. Er blinzelte. Die Laterne am Eingang war verloschen. Er schüttelte den Kopf in dem Versuch, ihn wieder klar zu bekommen. Dann nahm er Joan am Handgelenk und zerrte sie hinter sich die Treppe hinauf. Warum nur kam ihm alles so merkwürdig vor? Die stockfinstere Nacht, der heulende Wind, die knarzenden Stufen – alles schien vor seinen Augen in Bewegung zu geraten.
Und dann diese Doggets. Zwei flatternde Gestalten, wie Geister, die nach ihm riefen und an ihm herumgrabschten. Die eine zerrte an seinem Arm und schrie: »Komm doch mit mir mit, schlaf mit mir!« Zweimal, dreimal versuchte sie, ihn in ihre Kammer zu zerren, bis es ihm schließlich gelang, sie zur Seite zu stoßen. Dann machte sich die andere an ihn heran, sobald er einen Fuß in den Gang im zweiten Stock gesetzt hatte. Sie zerrte ihn vorbei an den Stufen, die zum Dachboden führten, hinein in ein Zimmer, während sie unzusammenhängende Worte der Liebe und der Lust murmelte. Er mußte richtig mit ihr kämpfen, um von ihr loszukommen.
Nach all diesem Aufruhr trat plötzlich Stille ein. Silversleeves stolperte, Joan vor sich herschubsend, durch den dunklen Gang und schließlich die Treppe zum Dachboden hinauf.
In der kleinen Kammer war es stockdunkel. Er hörte das Mädchen, das sich wohl auf sein Lager gesetzt hatte, und tapste diesem Geräusch nach, bis er fast über die Matratze stolperte. Er tastete nach Joan, fand ihr Bein unter der weichen Seide ihres Nachthemds; schläfrig grunzend brachte er seine Männlichkeit in die richtige Stellung und machte sich mit steigender Erregung über das Mädchen her, bis er schließlich mit einem weiteren, befriedigten Grunzen, das zu einem langen Seufzer wurde, von ihm herunterrollte und einschlief. Es war vollbracht.
Kurz darauf ging die Tür leise auf und dann wieder zu. Am nächsten Morgen wachte er gerade rechtzeitig auf, um sie aus der Kammer schlüpfen zu sehen. Sie drehte sich noch einmal um und schenkte ihm ein kurzes Lächeln.
Die kleine Menge, die sich vor dem Newgate-Gefängnis versammelt hatte, war bester Laune. Die Hinrichtung von fünf Dieben war ein Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen wollte.
Das Gefängnistor war noch geschlossen, doch der Schinderkarren stand schon bereit. Das niedrige, zweirädrige Gefährt hatte Bretterwände, an denen die Verurteilten, die darauf standen, sich festhalten konnten. So konnte die Menge einen guten Blick auf sie werfen, während der Karren langsam den kurzen Weg nach Smithfield zurücklegte.
William Bull ließ seine Blicke über die Menge schweifen. Gegenüber der Tür sah er eine Gruppe von Leuten stehen, die traurige, merkwürdig eingefallene Gesichter hatten. Bull nahm an, daß es sich dabei um Martin Flemings Verwandte handelte. In ihrer Nähe standen ein paar gedrungene, ernst dreinblickende Handwerker mit runden Köpfen, die zu groß wirkten für ihre untersetzten Körper – wahrscheinlich Joans Verwandte. Es war ein klarer, kalter Tag, auch wenn sich der Wind inzwischen wieder gelegt hatte.
Rechts, etwas abseits stand ein großer, schwarzgekleideter Mann. Dies war wohl der Lombarde, der mit eigenen Augen sehen wollte, wie die Gerechtigkeit ihren Lauf nahm, dachte Bull.
Da ging das Gefängnistor auf, und einige Gestalten traten heraus. Als erstes kam ein Rechtsbeamter des Königs, ein
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