London
Informationen alle schon mitgeteilt, bevor sie bei ihm anlangten.
Tiffany war sehr erleichtert, als der junge Mann sich als recht angenehmer Mensch herausstellte. Mit ernster, äußerst höflicher Miene sprach er zu ihr über die neuesten Stadtereignisse, fragte sie nach ihrer Meinung und schien sie tatsächlich ernst zu nehmen. Sie fühlte sich geschmeichelt und sehr erwachsen. Seine Nase, so beschloß sie, war zwar lang, verlieh ihm jedoch auch eine gewisse Würde; seine dunklen Augen wirkten sehr klug, wenn auch ein wenig geheimnisvoll. Sein Obergewand und seine Beinkleider waren schwarz und aus allerbestem flämischen Tuch. Sie wußte nicht so recht, ob sie ihn mochte, aber sie mußte sich eingestehen, daß seine Manieren zwar ein wenig steif, doch untadelig waren.
Die Hauptattraktion des Festes, zu dem Bull seine Gäste bald zusammenrief, stand auf einem Tisch in der Mitte des Raums – das Geschenk, das Chaucer ihm heute morgen überreicht hatte. Es war ein sehr sonderbares Ding. Der Hauptbestandteil war eine runde Messingplatte, etwa vierzig Zentimeter im Durchmesser, mit einem Loch in der Mitte, durch das ein dünner Metallstab führte. Am oberen Rand der Platte war ein Ring, so daß man sie entweder halten oder aufhängen konnte, und auf der Rückseite befand sich eine Vorrichtung, durch die man den Winkel von Objekten am Himmel vermessen konnte. Es gab eine Reihe von Scheiben, die man auf den Metallstab an der Vorderseite einpassen konnte. Beide Seiten waren mit Linien, Markierungen, Zahlen und Buchstaben versehen.
»Ein Astrolabium«, erklärte Bull stolz. »Man kann damit den nächtlichen Himmel vermessen.« Er begann seinen Gästen zu zeigen, wie dieses Gerät funktionierte, aber bald verwirrten ihn die komplizierten Linien, und schließlich gestand er kopfschüttelnd: »Ich werde es mir wohl noch genauer erläutern lassen müssen. Ist hier vielleicht jemand, der sich damit auskennt?«
Da trat Benedict Silversleeves vor und erklärte das Astrolabium so deutlich, daß sogar Tiffany es verstand. Offensichtlich konnte man entsprechend seinem jeweiligen Standpunkt und der jeweiligen Jahreszeit unterschiedliche Abschnitte der himmlischen Sphären erkennen. »Das Astrolabium, das schon Ptolemäus kannte, ist wie eine bewegliche Landkarte«, sagte er. Er zeigte ihnen, wie man, indem man die Zeichen auf dem Astrolabium las, die richtige Scheibe auswählen konnte, die auf den Metallstab auf der Vorderseite gesteckt werden mußte, und wie jede Scheibe ein Diagramm der Sternenkonstellationen zeigte, wie sie an verschiedenen Längengraden und zu verschiedenen Jahreszeiten gesehen werden konnten. Er zeigte ihnen, wie man damit nicht nur die Sterne erkennen, sondern auch ihren Verlauf und den der Planeten verfolgen konnte. »Und daher können wir mit dieser kleinen Messingscheibe und ein paar mathematischen Grundregeln vielleicht die Bewegung des Primum mobile erkennen, und damit auch die Hand Gottes«, schloß er seine Ausführungen.
Alle Gäste applaudierten, und selbst Bull, der den jungen Rechtsgelehrten anfangs nicht besonders gemocht hatte, war beeindruckt von dessen Intelligenz. Als die Gäste sich verabschiedeten, forderte er ihn auf, ihn doch bald wieder einmal zu besuchen.
Nach dem Fest wandte er sich, noch immer in gehobener Stimmung, an Tiffany. »Mit wem sollen wir dich wohl verheiraten, mein Kind?«
Er machte sich in letzter Zeit ziemlich viele Gedanken darüber. Dem jungen Whittington gegenüber hatte er die Sache auch schon zur Sprache gebracht, aber man munkelte, daß dieser bereits seine Wahl getroffen habe. Auch ein Ritter wäre ihm recht gewesen, solange er genügend Verstand besaß. Nun meinte Gilbert Bull, ohne seine Worte recht überlegt zu haben: »Ich möchte dich bitten, darüber nachzudenken, aber ich werde dich nie zwingen. Du sollst denjenigen heiraten, den du dir selbst ausgesucht hast.«
Dieses Zugeständnis machten nicht viele Väter in seiner Lage, und, noch immer beeindruckt von der Vorstellung mit dem Astrolabium, fügte er beiläufig hinzu: »Du würdest sicher nicht schlecht damit fahren, auch den jungen Silversleeves in Betracht zu ziehen.«
Die Gedanken über ihren zukünftigen Ehemann beschäftigten Tiffany zwar, aber sie wußte nicht recht, wie sie vorgehen sollte. In den darauffolgenden Monaten setzte sie sich mit ihren Freundinnen oft an das große Wohnzimmerfenster, wo die Mädchen dann die Vorzüge der Männer, die sie kannten, erörterten. Einen bestimmten Jungen
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