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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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völlig neuen Taktik, um der Stadt Respekt beizubringen.
    Es begann an einem klaren Morgen im Spätherbst. Ducket und Fleming richteten gerade ihren Stand her, als eine Gruppe von Reitern den Cheap herabgetrabt kam. Einer von ihnen zog sein Schwert und stieß eine große Tonschüssel mit gekochtem Obst zu Boden, wo sie zerbrach. Anstatt sich zu entschuldigen, lachten seine Begleiter nur und ritten weiter. Ein großes, voll beladenes Fuhrwerk ratterte hinter ihnen her. Kurz darauf eilte Whittington an Flemings Stand vorbei und erklärte, was dies alles zu bedeuten habe:
    »Die Prinzen haben gestern nacht beschlossen, sich aus der Stadt zurückzuziehen.«
    Innerhalb einer Stunde zog ein Strom von Menschen aus der Stadt: Ritter, bewaffnete Männer, Stallburschen mit ihren Pferden und Diener, die Karren schoben, auf denen alle möglichen Haushaltsgeräte gestapelt waren. Eine Gruppe elegant gekleideter Damen in Begleitung ihrer Pagen zog auf ihrem Weg zum Ludgate vorbei.
    »Sie wollen uns ruinieren«, rief Fleming verzweifelt. Mit ihren riesigen Ländereien und ihrem gewaltigen Gefolge floß der halbe Wohlstand Englands durch die Hände der Prinzen und in die Hände jedes Mannes, der in London mit dem Handel zu tun hatte.
    In den darauffolgenden Tagen und Wochen zeigte sich das volle Ausmaß der Krise. Der West Cheap war halb leer. »Alle Gemischtwarenhändler sind davon betroffen«, berichtete Fleming, »und mehr noch die Fischhändler und Metzger.« Kurz vor Weihnachten beschlossen die Londoner, etwas zu tun. »Sie wollen die königliche Familie bestechen, um sie zur Rückkehr zu bewegen«, erklärte Whittington Ducket. »Die Stadt will ihnen ein großes Geschenk machen. Alle Großen der Stadt tragen dazu bei. Bull wird vier Pfund spenden.« Selbst ein aufsteigender junger Mercer wie Whittington wollte fünf Mark beisteuern. »Man muß seine Kunden eben kaufen«, meinte er trocken.
    Ducket war es nicht gelungen, Amys Herz zu gewinnen, aber er hatte sich auch nicht besonders darum bemüht. Entweder sie mag mich, oder sie mag mich nicht, dachte er sich.
    Kurz nach Weihnachten traten Carpenter und Amy vor deren Eltern. Sie wollten sich gerne vermählen, aber weil Amy mit dreizehn noch keine Frau war und der ernste junge Handwerker bestrebt war, erst noch Meister zu werden, bevor er heiratete, hatte er Amy gebeten, noch drei Jahre zu warten. »Vielleicht denkt Ihr, daß dies zuviel verlangt sei?« fragte er Amys Eltern. »Nein, nein, keineswegs!« versicherte ihm Dame Barnikel hastig. »Schließlich kann man nie vorsichtig genug sein.«
    Fleming war ebenfalls zufrieden mit dieser Regelung, und für Amy war die Sache damit beschlossen. Nicht so für Dame Barnikel. Eines Abends, als er ein wenig früher als sonst heimkehrte, sah Ducket, der eben den Karren in den Hinterhof geschoben hatte, Dame Barnikel an der Eingangstür herumstehen.
    Sobald er sie sah, verfluchte er seine Dummheit. Wie konnte er dies nur vergessen? Es war doch die Zeit im Monat, in der sie sich immer betrank!
    Dame Barnikels rotes Haar stand ihr wirr vom Kopf, und mit blutunterlaufenen Augen starrte sie auf ihre Tochter. Sobald sie Ducket erblickte, kreischte sie laut: »Du bist genau der Mann, den wir hier brauchen!« Und bevor er recht wußte, wie ihm geschah, hatte sie sich schon mit fester Hand seinen Arm geschnappt und mit der anderen Hand ihre Tochter gepackt. Sie zerrte die beiden über den Innenhof zum Lager und schubste sie hinein. Obwohl Ducket nicht der Schwächste war, mußte er feststellen, daß er gegen Dame Barnikel machtlos war. »Es wird langsam Zeit, daß ihr beiden euch kennenlernt«, brummte sie, stieß die Tür zu und zog den Riegel vor.
    Im Lager war es kalt. Die beiden sagten erst einmal nichts. Schließlich ergriff Amy das Wort. »Sie will, daß ich dich heirate. Glaubst du eigentlich, daß Ben Carpenter spinnt?«
    »Nein«, sagte er nur. Dann merkte er, daß sie zitterte. Er legte einen Arm um sie, und so saßen sie schweigend nebeneinander, bis Fleming sie entdeckte und befreite.
    Fleming wirkte in letzter Zeit ziemlich niedergedrückt. Das Geschäft auf dem Markt lief schlecht, und Ducket ertappte seinen Meister immer wieder einmal dabei, wie er an seinem Stand ins Grübeln verfiel oder abends mit gesenktem Kopf am Feuer saß und schrecklich traurig wirkte. Deshalb war er froh, als eines Abends – Fleming schien wieder einmal kurz davor, in seine Trübsal zu versinken – Benedict Silversleeves in der Gaststube auftauchte.

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