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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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stellte er sich vor. »Ich nehme an, dein Vater hat dir schon vor mir erzählt.«
    Tiffany runzelte die Stirn. Sie wußte, daß sie viele Verwandte hatte, und wollte nicht unhöflich wirken, aber sie hatte noch nie von ihm gehört.
    »Was sollte er mir denn von Euch erzählt haben?« fragte sie vorsichtig.
    James war aufrichtig wie immer. »Es ging darum, daß ich dich heiraten will. Ich habe ihm jedenfalls mitgeteilt, daß ich interessiert sei.«
    »Aber ich kenne Euch doch gar nicht«, protestierte sie, doch dann fiel ihr ein, daß dies an sich kein ausreichender Einwand war, und so erklärte sie ihm: »Mein Vater hat gesagt, daß ich den Mann heiraten kann, den ich auch wirklich heiraten will.«
    »Soll das etwa heißen, daß er dir gesagt hat, du kannst dir deinen Ehemann aussuchen? Daraus würde mir natürlich ein gewisser Nachteil entstehen«, meinte er einigermaßen verblüfft.
    »Vielleicht würdet Ihr mir ja mit der Zeit ganz gut gefallen«, erwiderte sie. »Ihr solltet jedenfalls nie aufgeben!«
    »Vielleicht«, sagte er zweifelnd und verabschiedete sich von ihr.
    An diesem Abend betrank sich James Bull, und das war etwas, was er noch nie zuvor getan hatte. Er ging nach Southwark, geriet rein zufällig in das »George«, setzte sich allein an einen Tisch und trank Bier. Als der Abend schon einigermaßen fortgeschritten war, setzte sich Dame Barnikel zu ihm und fragte ihn, warum er denn so niedergeschlagen sei.
    »Macht Euch nichts draus«, meinte sie schließlich. »Ein hübscher junger Kerl wie Ihr findet doch immer ein Mädchen.«
    »Ich fürchte, manchmal bin ich etwas einfältig«, gestand James. »In meiner ehrlichen Art, meine ich.«
    »Seht Ihr den Mann dort drüben?« fragte sie gedämpft und deutete auf einen ziemlich großen, groben Kerl, der zwischen zwei Frauen in einer Ecke saß und schmatzend sein Bier trank. »Er kriegt immer eine Frau, wenn er eine haben will. Er ist ein Wegelagerer, es heißt, er raubt die Pilger aus auf ihrem Weg durch Kent. Wißt Ihr, wo der in fünf Jahren sein wird? Der wird an einem Galgen baumeln, das kann ich Euch versprechen. Also bleibt lieber so ehrlich, wie Ihr seid.« Sie gab ihm einen freundlichen Klaps auf die Schulter.
    James Bull hatte die Begegnung mit Tiffany ziemlich entmutigt, doch dem jungen Mädchen hatte das Gespräch eine angenehme Erkenntnis gebracht. Sie merkte, daß es ganz nett war, umworben zu werden. Und als ihr Vater sie an Weihnachten fragte, ob sie denn schon weitergekommen sei, bat sie ihn in aller Demut, ihr doch noch ein paar Jahre für diese Entscheidung zuzugestehen, und er willigte ein. »Schließlich wird es uns mit meinem Geld sicher möglich sein, einen Mann für sie zu finden, auch wenn sie schon fünfzehn ist«, sagte er an diesem Abend zu seiner Frau, und damit war die Sache vorläufig erledigt.
    1378
    Ein weiterer drohender Krieg gegen Frankreich, das nun auch von Schottland unterstützt wurde, beunruhigte den Regentschaftsrat des jungen Königs, und die jüngsten Entwicklungen waren noch ärgerlicher: Französische Piraten griffen immer wieder englische Handelsschiffe an, und der Rat schien machtlos. Der Onkel des Königs, Johann von Gent, hatte in bester Absicht eine Kampftruppe in die französischen Küstenbereiche geführt, jedoch überhaupt nichts ausrichten können. Gleich nach seiner Rückkehr hatte ein einfacher Londoner Kaufmann, ein tatkräftiger Bursche namens Philpot aus der Gilde der Grocer, auf eigene Kosten eine kleine Flotte aufgestellt und die Piraten aufgestöbert, und nun war er triumphierend in die Stadt zurückgekehrt. »Aus unserer Gilde«, meinte Fleming stolz zu Ducket. »Man sollte ihn zum Bürgermeister machen!«
    Doch nach diesem Triumph gab es einen Rückschlag. Ein weiterer Onkel des Königs, der jüngste Bruder Johanns von Gent, war nachts mit seinen Gefährten von einer Räuberbande in der Nähe der Stadt überfallen worden. Der Prinz meinte, daß es sich um ein Komplott der Londoner handelte, und nichts, was der Mayor oder die Aldermen sagten, konnte ihn davon abbringen. Es erboste ihn zutiefst, daß es der Stadt nicht gelang, einen Schuldigen vor Gericht zu stellen. »Es ist an der Zeit, den unverschämten Londonern eine Lehre zu erteilen«, beschlossen die Prinzen.
    Schon zu früheren Zeiten hatten Könige die Londoner mit Streitmächten bedroht und Bußgelder gefordert, ja sogar den Handel umgelenkt, um die mächtigen Kaufleute zu schwächen, doch nun griff der Onkel des Königs zu einer

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