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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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oder Feigling, schön oder abscheulich. Eine Figur auf der Bühne ist in der Hand eines Autors genauso wie dieser Bär an einer Kette festgebunden.«
    Jane sah Edmund bewundernd an. Der dunkelhäutige Fremde jagte ihr eher Angst ein, obwohl sie es nicht lassen konnte, ihm verstohlene Blicke zuzuwerfen.
    Wenn der Finstere Barnikel sich beleidigt fühlte, so zeigte er es nicht; doch hätten Jane oder Edmund ihn ein wenig eingehender betrachtet, währen ihnen vielleicht aufgefallen, daß seine Augen sich verdunkelten. »Ich werde also zu Eurem Stück kommen, junger Herr«, murmelte er.
    Der grüne kleine Vorort Shoreditch, in dem die beiden Schauspielhäuser lagen, befand sich eine halbe Meile nördlich der Stadt, oberhalb von Moorfields. Für Jane Fleming war das auch der Ort, den sie ihr Leben lang ihre Heimat genannt hatte. Als sie eine Stunde später in das Haus ihrer Eltern trat, mußte sie lächeln. Sie wußte, daß ihre Eltern ein wenig seltsam waren, doch sie liebte sie, wie sie waren. Das Haus war wie ihr Vater: klein und schmal. Gerade zweieinhalb Meter breit und zwei Stockwerke hoch, stand es direkt hinter dem Theater, eingezwängt zwischen zwei größeren Häusern. Und es war voller Kleider.
    Gabriel Fleming war Betreuer der Kleiderkammer, des Raums im Theater der Chamberlain's Men, wo sich die Schauspieler umzogen. Die ganze Familie arbeitete für das Theater; seine Frau Nan und Jane halfen ihm, Janes kleiner Bruder Henry hatte gerade als Junge in der Truppe angefangen und übernahm die weiblichen Rollen, wie es der Brauch war. Aus Sicherheitsgründen bewahrte Gabriel den größten Teil der Theaterkleider in seinem Haus auf.
    Da ihre Eltern ständig zwischen Haus und Theater hin- und hereilten und zu allen Tageszeiten Schauspieler hereinschneiten, war Jane an ein fröhliches Durcheinander gewöhnt; so war das Leben nie langweilig. Im Herbst und im Winter war das Theater in vollem Gang; Höhepunkt waren die Vorstellungen vor der Königin beim Weihnachtsempfang. Während der Fastenzeit, wenn Schauspiele verboten waren, sahen Jane und ihre Mutter die Kostüme durch, sie wuschen, besserten aus und erneuerten, und daher war sie eine erstklassige Näherin. Nach Ostern begannen dann wieder die Vorstellungen. Am meisten genoß Jane den Sommer, denn dann brach die ganze Truppe zu Tourneen auf. Sie zog in einer Reihe von Planwagen dahin – einer war mit der Reisebühne und den Requisiten beladen, in einem anderen, voll mit Kostümen, fuhren ihre Eltern; dieser diente bei jedem Halt auch zum Umkleiden. Wochenlang waren sie in den umliegenden Grafschaften unterwegs, und jedesmal, wenn sie in eine Stadt kamen, gingen Mitglieder der Truppe voraus und kündigten mit Kesselpauke und Trompete ihre Ankunft an. Die Bühne wurde aufgebaut, normalerweise im Hof eines Gasthauses, und mehrere Tage lang führten sie ihr Repertoire vor, bis es Zeit war weiterzuziehen. Manchmal machten sie auch einen Abstecher, um im Haus eines Adligen zu spielen.
    Ihr Onkel schüttelte jedoch den Kopf. Die Flemings waren eine vorsichtige Familie und stolz darauf. Nachdem ihr altes Geschäft nach der Auflösung der Klöster ruiniert war, hatten sie sich dem Handel mit Weiß- und Kurzwaren zugewandt, und Janes Großvater hatte seinen drei Söhnen mit ihren hohlwangigen Gesichtern ein solides kleines Unternehmen hinterlassen. Warum Gabriel dieses verlassen und gegen die unsichere Welt des Theaters eingetauscht hatte, konnten seine beiden Brüder nie verstehen. Der älteste, selbst Familienvater, hatte seither nie mehr mit ihm gesprochen; doch Onkel, wie Jane ihn nannte, der unverheiratet geblieben war, hatte sich zu ihrem Vormund ernannt, und da er überzeugt war, Gabriel werde als armer Mann sterben, hatte er ihr und dem kleinen Henry eine Erbschaft versprochen.
    Der Kurzwarenhandel lief gut – Knöpfe und Schleifen, Bänder, Ziermünzen, alle Arten von billigen Schmuckstücken. Die beiden Flemings hatten auch eine Werkstatt, in der Messingnadeln gefertigt wurden. »Dort werden wir einen guten Ehemann für dich finden«, meinte Onkel zu Jane. »Überlaß das nur mir.« Doch sogar er war beeindruckt von Edmund, der im Schauspielhaus zu einer vertrauten Person geworden war. Jane hatte Teile seines Stücks gesehen und war der Meinung, er würde ein Bühnendichter werden – vielleicht sogar an die Stelle Shakespeares treten, wie er sagte.
    Denn niemand wußte so recht, was Shakespeare vorhatte. Gerüchte waren im Umlauf, er wolle sich als Gentleman

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