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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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die beiden anderen jungen Stutzer, denn sie begriffen, was gemeint war.
    Im elisabethanischen London gab es zwei Arten von Theaterstücken. Die große Masse war erpicht darauf, ein Spektakel zu sehen – einen Kampf, ein Duell –, und die Schauspieler beherrschten diese Szenen. Beliebt waren schlüpfrige Witze volkstümlicher Possenreißer, die improvisierte Scherze mit dem Publikum veranstalteten, und jedes Stück endete mit Gesang und Tanz. Das waren die Stücke, die man schrieb, damit sie gesehen wurden, wie Meredith und seine Freunde es ausdrückten. Für das anspruchsvolle, erlesenere Publikum des Hofes gab es geistreiche, in gehobener Sprache verfaßte Stücke. Solche Stücke wollte Edmund schreiben, nicht damit sie gesehen, sondern damit sie gehört wurden.
    »Wird es nicht gespielt werden? Ich werde hierher ins Curtain kommen«, erwiderte der Finstere Barnikel.
    »Dann werdet Ihr es weder sehen noch hören.«
    »Wo sollte ich dann hingehen?«
    »Meinetwegen zum Teufel«, lachte Edmund. »Aber um etwas für Euer Heil zu hören, solltet Ihr in ein Kloster gehen.« Der kleine Zirkel, der ihn umgab, applaudierte.
    Dieser kurzen Replik mangelte es nicht an Witz, denn es gab in London nicht nur zwei Arten von Theaterstücken, sondern auch zwei Arten von Theatern. Die meisten Schauspielhäuser waren Freiluftbühnen, umschlossen von einer runden Galerie. Hier in Shoreditch gab es zwei, das Theatre, in dem Shakespeare und die Lord Chamberlain's Men spielten, ein einigermaßen respektables Etablissement, das sich auf Schauspiele beschränkte, und das Curtain, bekannt für seine vulgären Belustigungen, dessen Parkett einer Bärengrube so ähnlich war, daß es wie an diesem Tag auch als solche genutzt wurde. Diese ungedeckten, lärmerfüllten Gebäude hatten den Vorteil, daß die Schauspieltruppe eine große Menge an zahlendem Publikum unterbringen konnte; der Traum jedes ernsthaften Autors war es jedoch, daß sein Stück in einem geschlossenen Raum und vor einer stillen, aufmerksamen Zuhörerschaft gespielt wurde.
    Genau ein solches Theater wollten die Chamberlain's Men aufbauen, nachdem 1597 der Pachtvertrag für das Theatre ausgelaufen war und eine Verlängerung abgelehnt wurde. Hin und wieder hatten Knabengruppen aus Londoner Schulen vornehme Stücke auf die Bühne gebracht, doch nun sollte das erste Mal ein ernsthaftes, professionelles Stück im geschlossenen Raum inszeniert werden. In dem Bezirk des früheren Dominikanerklosters der Blackfriars hatte man einen prächtigen Saal gefunden und ausgestattet. In dieser eleganten neuen Umgebung wollte Edmund sein Stück spielen lassen.
    Die Augen des Finsteren Barnikels nahmen einen fast schläfrigen Blick an, während er die kleine Gruppe beobachtete. Der Brauer, der Zimmermann und der junge Dogget waren ihm gleichgültig. Mit Interesse registrierte er die blasse, sommersprossige Haut des Mädchens und sein üppiges rotes Haar. Obwohl er alle Arten von Männern gesehen hatte, mit ihnen zur See gefahren war oder sie sogar umgebracht hatte, war dieser geistreiche junge Geck eine neue Spezies für ihn. Er hatte eigentlich nichts dagegen, mit Rätseln geneckt zu werden; London war voll von witzigen Burschen. Doch hinter Meredith' Worten nahm er einen Hauch von Verachtung wahr.
    »Ich glaube, Ihr macht Euch über mich lustig«, meinte er. »Man sagt, mein Dolch sei scharf.« – »Ich beabsichtige keinen Spott, Sir«, erwiderte Edmund. »Doch ich warne Euch trotzdem, meine Feder ist mächtiger als Euer Dolch. Mit Eurem Degen könnt Ihr mir das Leben nehmen. Aber mit meiner Feder kann ich Euch unsterblich machen.«
    »Bloße Worte.« Der Seemann zuckte die Achseln. »Auf einer Bühne.«
    »Und doch, was ist die Welt, Sir«, fragte Meredith, »wenn nicht eine Bühne? Wenn unser Leben vorbei ist, was bleibt dann? Woran wird man sich erinnern? An unser Vermögen? An unsere Taten? An unser Grab? Aber gebt mir ein Theater – selbst eine Grube wie hier; ich kann ein Leben in diesen Kreis einschließen. Ich kann Euch einen Mann zeigen, seine Taten, seine Eigenschaften, sein innerstes Wesen.«
    »Meint Ihr«, fragte der Finstere Barnikel neugierig, »daß Ihr ein Stück über mich schreiben könntet?«
    »Jawohl, Sir. Ich kann Euch nicht nur unsterblich machen, ich kann Eure ganze Gestalt verändern. Meine Feder kann aus Euch alles machen, was sie will. Vielleicht einen Helden, vielleicht aber auch einen Narren; einen, der mit Klugheit liebt, oder einen hilflosen Hahnrei. Kapitän

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