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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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hatten die Lord Chamberlain's Men, die Truppe, deren Schutzherr der Haushofmeister des Souveräns war und für die Shakespeare schrieb, im Prinzip zugestimmt, ein ganzes neues Stück von ihm anzunehmen, wofür man ihm, wenn es angenommen wurde, das volle Honorar von sechs Pfund zahlen würde.
    »Ist es fertig?«
    Er lächelte zu dem rothaarigen Mädchen an seiner Seite hinab. »Fast.«
    Das Stück war ein Meisterwerk, wie er selbst sagte: nicht die derben Scherze für die Masse, sondern brillanter Witz, um den Hof zu ergötzen. Es ging um einen jungen Mann. Jane Fleming hatte jeden Schritt seines Entstehens verfolgt, und nun erzählte er ihr die neuesten Entwicklungen der Handlung.
    Edmund Meredith mochte Jane Fleming. Sie war fünfzehn – jung genug, um zu einem Mann wie ihm aufzusehen und von ihm geformt zu werden. Sie war hübsch, aber keine solche Schönheit, daß sie eine Schar rivalisierender Verehrer angezogen hätte. Ihre Familie hatte mit dem Schauspielhaus zu tun, und sie teilte seine Liebe zum Theater. Und obwohl die Verhältnisse ihrer Familie bescheiden waren, sollte sie ein kleines Erbe von einem Onkel bekommen. Irgendwann würde er Jane Fleming vielleicht heiraten.
    Niemand hatte Notiz von dem dunkelhaarigen Mann hinter ihnen genommen.
    »Ich glaube, junger Herr, ich werde kommen und mir Euer Stück ansehen«, sagte er plötzlich. Sie drehten sich um und erblickten den seltsamsten Kerl, den sie je gesehen hatten. Seine Gesichtszüge waren negroid, doch seine Haut war nur dunkelbraun und seine Augen vollkommen blau. Lange, schwarze Locken umrahmten sein Gesicht. Er trug ein langes, ärmelloses Lederwams, das ihm bis zu den Knien reichte, Lederstiefel, rote Breeches und ein weißes Leinenhemd. Um die Handgelenke klirrten goldene Armreifen; statt eines Degens hatte er einen langen, gebogenen Dolch bei sich. Er mochte vielleicht fünfunddreißig Jahre alt sein, hatte aber noch alle Zähne, blitzend weiß wie sein Hemd, und es war offensichtlich, daß sich unter dem Hemd ein prachtvoller Athletenkörper verbarg. Dunkelhäutige Männer waren selten in London. Er hieß Orlando Barnikel.
    Einer der Barnikels aus Billingsgate, ein Seemann, hatte ihn nach einer Reise in den Süden als Kabinenjungen mit nach London gebracht. »Er ist von mir«, hatte er seiner erstaunten Familie verkündet. Eine weitere Erklärung brachte er nie vor, aber die blauen Augen schienen die Behauptung zu bestätigen. Als der Seemann nach zehn Jahren und mehreren profitablen Reisen starb, hinterließ er Orlando ein hübsches kleines Vermögen. Orlando konnte sich eine Beteiligung an einem Schiff kaufen, dessen Kapitän er selbst war. Mit einer Mannschaft, zusammengesammelt in allen Häfen Europas, befahr er die sieben Meere. Er war ein unfehlbarer Schütze und mit einem Körper ausgestattet, der stark und geschmeidig wie der einer Schlange war.
    Natürlich war er ein Pirat. In einem anderen Zeitalter hätte man ihn vielleicht gehängt, aber sehr wahrscheinlich wäre das auch Sir Francis Drake und zahlreichen anderen englischen Helden passiert. Doch da Männer wie Drake der finanziell hart gebeutelten Königin einen Anteil ihrer Profite anboten, wenn französische oder sonstige Beute weit entfernt auf hoher See gemacht wurde, stellte man keinerlei Fragen. Und es waren Orlando und viele seinesgleichen gewesen, die die große Armada vernichtet hatten.
    Er tauchte nur in unregelmäßigen Abständen in London auf, doch immer wenn er in diesem Hafen landete, schritt er den Billingsgate Market entlang bis zu dem riesigen Fischverkaufsstand der Barnikels, wo seine Cousins, recht stolz darauf, daß dieser exotische Abenteurer zu ihnen gehörte, ihn stets willkommen hießen. »Mohr« nannten ihn manche der Leute in Billingsgate, wobei sie auf seine dunkle Hautfarbe anspielten. Die Seeleute, die mit ihm fuhren, und die Männer in ganz Europa, die ihn fürchteten, nannten ihn den »Finsteren Barnikel«.
    Edmund Meredith wußte nichts von alldem. Überrascht starrte er ihn an, doch als er bemerkte, wie die beiden anderen Stutzer ihn beobachteten, lächelte er. Ganz natürlich, daß ein Mann von Geist wie er sich mit diesem seltsamen Fremden einen kleinen Scherz erlaubte. »Ihr wollt mein Stück sehen, Sir?« Der Finstere Barnikel nickte. »Ich danke Euch für Eure Liebenswürdigkeit. Dennoch kann ich Euch nicht dienen.«
    »Warum?«
    »Mein Stück, Sir, ist nicht dafür bestimmt, gesehen zu werden.« Als Barnikel Edmund fragend anstarrte, lachten

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