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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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südöstlichen Passatwinden kamen sie zurück. Beobachtungsposten an der Küste von Kent hielten Ausschau nach den ersten Schiffen, Menschenmassen eilten zu den Londoner Docks. Die amerikanischen Klipper trafen so lange vor den englischen Schiffen ein, daß es erniedrigend war. Das spornte den Wettkampf an. Die Londoner Gesellschaften gaben Schiffe in Auftrag, die so konstruiert waren, daß sie alle früheren Modelle an Schnelligkeit übertrafen. Diese neue Klasse von Klippern, sechzig bis neunzig Meter lang, schnittig und stabil, mit einem Wald von Segeln auf den drei hohen Masten – manche hatten mit ihren vierunddreißig Segeln mehrere tausend Quadratmeter Leinwand an Bord –, konnten vollbeladen in drei Tagen tausend Meilen zurücklegen und die ganze Reise von China in hundert Tagen oder noch weniger bewältigen. Zumeist wurden sie in Schottland gebaut. Das neue Schiff, dessen Bauplan vor Barnikel lag, sollte in einem knappen Jahr sein bisheriges ersetzen.
    »Wie sollen wir es taufen?« fragte der Earl. »Sie haben die Wahl.«
    »Wir nennen es Charlotte«, antwortete Barnikel. Denn ihr verdankte er alles. Sicher war er ein erstklassiger Seemann und Kapitän, aber es war die Heirat mit der ältesten Tochter des alten Herrn gewesen, die es ihm ermöglichte, einen Anteil an einem Schiff zu kaufen, auf dem er selbst Kapitän war. Auch ihr hübsches georgianisches Haus in Camberwell Grove hatten sie mit Charlottes Geld gekauft. Und obwohl er nun selbst ein Vermögen machte, freute ihn der Gedanke, seinem Schwiegervater bald sagen zu können: »Der Earl und ich haben den Klipper gerade nach Charlotte benannt.«
    Jonas Barnikel würde ein Fünftel der Charlotte besitzen. Ein weiteres Fünftel gehörte dem Bankier Meredith, der heute seinen Sohn geschickt hatte, drei Fünftel dem Earl of St. James. Der junge Meredith war noch eine unbekannte Größe. Er war erst kürzlich aus Eton gekommen und hatte seinen Vater gebeten, ihn ein Jahr lang reisen zu lassen, bevor er sich einem Regiment anschloß, und da Barnikel in Kürze nach Indien reisen würde, hatte der Bankier ihn gefragt, ob er den Jungen mitnehmen würde. Heute war ihre erste Begegnung, und Barnikel taxierte den jungen Mann. Er war ein attraktiver Bursche, groß, kastanienbraunes Haar, athletische Figur. Sicher ein prächtiger junger Gentleman – aber aus welchem Holz war er wirklich geschnitzt?
    »Wir gehen jetzt dann zu meinem Schwiegervater, bei dem wir heute speisen«, erklärte er. »Vielleicht würden Sie gerne mitkommen?«
    Meredith sah den Earl fragend an, und dieser nickte. »Es wird mir eine große Freude sein.«
    Als die Familie Barnikel eine halbe Stunde später zusammen mit Meredith in ihrer Kutsche nach Blackheath hinauffuhr, machte der junge Mann sie auf einen Gegenstand am Himmel aufmerksam. »Oh, Jonas!« rief Charlotte Barnikel. »Das muß Mary Anne sein!«
    Es ging nur eine leise Brise, gerade genug, um die Fahrt zu ermöglichen. Mary Anne umklammerte den Rand des Korbes, der schlingerte und furchteinflößend knarzte, als die Gärten von Vauxhall unter ihnen immer kleiner wurden.
    »Hast du Angst?« rief ihr Mann ihr ins Ohr.
    »Natürlich nicht!« log sie. Der Ballonführer lächelte beiden aufmunternd zu, während der riesige blaugoldene Ballon über ihnen in den klaren Himmel zur Sonne aufstieg. Ein paar schreckliche Sekunden lang fragte sich Mary Anne, ob der Boden des Korbes durchbrechen würde.
    Die Gärten unter ihnen boten kein schönes Bild, nicht nur wegen der heruntergekommenen Straßen, die sich um den Park ausgebreitet hatten, sondern auch wegen der Eisenbahngleise. Gerade fuhr ein Zug über das Ziegelviadukt; das Geratter und der Rauch störten die frühere Stille des Ortes. Die Gärten von Vauxhall waren im letzten schmutzigen Stadium des Niedergangs. Doch von hier aus starteten immer noch die Heißluftballons. Man nutzte sie, um ein Panorama der Stadt zu zeichnen, oder unternahm wagemutige Reisen, auf die man Wetten abschließen konnte; manchmal ging es sogar bis Deutschland. Heute machten Mary Anne und Edward Bull einen kurzen Ausflug nach oben, der irgendwo bei Blackheath enden würde.
    Als Mary Annes Gatte sie vor Monaten gefragt hatte, was sie sich zu ihrem Geburtstag wünsche, der gleich nach dem des alten Herrn kam, hatte sie aus Spaß »eine Ballonfahrt« geantwortet. Nun war sie völlig verblüfft, als er vor drei Tagen beiläufig bemerkte: »Ich habe deine Ballonfahrt arrangiert, Mary Anne. Am Samstag vormittag ist

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