London
hatte eine vornehme Eleganz an sich, die den anderen am Tisch fehlte. Sie fragte ihn nach seiner Schulzeit und nach seinen Vorlieben. Er sei ein guter Sportler, und er liebe die Freuden der Jagd, gestand aber, daß er auch Sinn für Poesie habe und fasziniert von Geschichte sei.
»Erwägen Sie dann nicht, zur Universität zu gehen, Mr. Meredith?« fragte sie.
»Mein Vater ist dagegen«, erwiderte er. »Und um die Wahrheit zu sagen, ich habe ein solches Verlangen, die Welt zu sehen…«
Sie lachte. »Ich glaube, Sie sind bestimmt weit abenteuerlustiger als wir übrigen.«
Mehrere Köpfe wandten sich ihnen zu. Sie errötete ein wenig, weil sie nicht die Absicht gehabt hatte, so laut zu lachen. Auch der alte Herr starrte sie an.
Wenn der alte Herr eine Dinnergesellschaft gab, wollte er gerne unterhalten werden. Neue Gäste meinten oft, er habe kaum Notiz von ihnen genommen, doch in Wirklichkeit unterzog er sie insgeheim einer gründlichen Prüfung, bevor er sie plötzlich bat, etwas von sich zu berichten. Barsch ertönte seine tiefe Stimme vom anderen Tischende. »Ich höre, daß Mr. Meredith ein Jahr lang auf Reisen gehen will. Vielleicht möchte er uns ein wenig von seinen Plänen erzählen?«
»Oh, Vater!« protestierte Mary Anne. »Den armen Mr. Meredith so ins Kreuzverhör zu nehmen. Er wird sich wünschen, er wäre niemals hierhergekommen.«
»Keineswegs«, erwiderte Meredith. »Doch in Wahrheit, Sir, sind meine Pläne nicht sehr ausgefeilt. Mein erster Wunsch ist, ein paar Monate durch Indien zu reisen.«
»Fabelhaft, Mr. Meredith!« Silversleeves war offenkundig der Meinung, er solle etwas sagen, um den jungen Mann zu ermutigen. »In Indien werden Ihnen sicher Möglichkeiten zur Entwicklung eines ausgedehnten Eisenbahnnetzes auffallen.«
»Sie befassen sich, wenn ich recht verstehe, mit Eisenbahnen in Indien?« fragte der alte Herr.
»Nein, Sir«, lächelte Meredith. »Ich fürchte, ich suche nicht nach etwas, das so genau umrissen ist.«
Ein leises Hüsteln kam von der Mitte des Tisches. Obwohl die Familien Meredith und Penny durch das Bankhaus in Verbindung standen, waren sich die jüngeren Generationen nie nähergekommen. Die Meredith hatten etwas zu Sorgloses, zu Aristokratisches an sich, das der vorsichtigen Natur der Pennys mit ihren hugenottischen und schottischen Vorfahren zuwiderlief. Und so war Penny, der im Versicherungsgeschäft tätig war, etwas verärgert, als er diesem leichtfertigen Sprößling der Meredith zuhörte. »Man treibt sich doch nicht monatelang auf dem halben Erdball herum, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben«, meinte er. »Oder unternehmen Sie eine Vergnügungsreise?«
Meredith errötete über die implizite Beleidigung. »Ich habe ein Projekt im Sinn«, erklärte er dann. »Es gibt vieles über Indien mit seiner alten und vielfältigen Kultur zu erforschen. Ich dachte, ein paar Monate lang die Religion der Hindus und ihre Götter zu studieren.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?« fragte Mary Anne.
»Ich vermute, ich sollte in ihre Tempel gehen und Unterweisung bei ihren Priestern suchen«, erwiderte Meredith ernst. »Vielleicht sollte ich eine Weile mit ihnen zusammenleben. Es wäre interessant, sie wirklich genau kennenzulernen.«
Die Gesellschaft starrte ihn in entsetztem Schweigen an. »Aber Mr. Meredith«, sagte Esther Silversleeves schließlich, »diese Leute sind Heiden!«
»Wilde«, stimmte der alte Herr zu. »Schlechte Idee.«
Edward Bull lachte. »Ich bin sicher, Ihr Vater kennt Leute in Indien, die Sie führen könnten, Mr. Meredith. Wäre schade, wenn Sie Ihre Zeit vergeudeten. Und das Geld Ihres Vaters.«
Der Ton war deutlich gönnerhaft und tat den ganzen Plan als dummes Zeug ab. Mary Anne errötete verärgert. »Ich finde Mr. Meredith' Wunsch, mehr über die Völker unseres Empires zu wissen, sehr lobenswert«, rief sie. »Es klingt faszinierend.«
»Sei nicht albern, meine Liebe. Das ist alles Unsinn«, schalt ihr Mann. Sie sah ihn an. Edward mochte ihr eine Ballonfahrt geschenkt haben, aber er sollte besser nicht meinen, er könne anfangen, auch sie als dumm abzutun. Sie blickte zu dem jungen Meredith. Er hatte den Kopf ein wenig gesenkt; er wollte nicht mit ihnen streiten, da er Gast in ihrem Haus war. Ein Gast, stellte sie plötzlich fest, der weit besser erzogen und intelligenter war als sie alle. Selbst ihr liebevoller Gatte mit seinen blauen Augen, seinem hübschen Gesicht und seiner männlichen Art, selbst Edward, obwohl keineswegs
Weitere Kostenlose Bücher