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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Norden erschlossen. Silversleeves und seine Firma hatten vor drei Jahren einen großen Kopfbahnhof namens Waterloo gebaut, von dem aus Züge in den Süden und in den Westen fuhren. Während Postkutschen zehn Passagiere in einer Geschwindigkeit von etwa acht Meilen pro Stunde transportierten, faßten die Waggons, die hinter einer Dampflokomotive über die Eisenschienen ratterten, hundert Passagiere und fahren vierzig Meilen pro Stunde. Die Dampfeisenbahn brachte die Leute von weither zur Weltausstellung im Kristallpalast.
    Die Dampflokomotiven brachten Ordnung ins Königreich. Eisenbahnen erforderten einen Fahrplan, doch obwohl die Greenwicher Zeit nach und nach auf allen Weltmeeren anerkannt wurde, hatten die Provinzstädte in England immer noch ihre eigene Ortszeit. Nun begannen sie, von einer Londoner Standardzeit auszugehen.
    Silversleeves liebte Ordnung; Ordnung bedeutete Glück und Fortschritt. Selbst die Ärmsten konnten davon profitieren. Der Bau der neuen Eisenbahnlinien von Euston aus hatte ganze Gebiete von Elendsquartieren und Slumwohnungen zerstört. »Diese Leute werden alle in neuen Wohnungen untergebracht«, erklärte er. Er prophezeite sogar, daß eines Tages viele aus dem einfachen Volk, die nicht direkt neben ihrer Arbeitsstelle wohnen mußten, in sauberen neuen Siedlungen außerhalb der Stadt untergebracht und jeden Tag mit der Eisenbahn zur Arbeit befördert werden würden. Da die Bevölkerung unablässig zunahm, verstopften die pferdegezogenen Omnibusse und die vielen Droschken und Kutschen jeden Tag mehrere Stunden lang das gesamte Gebiet von Westminster bis zum alten Stadtzentrum. »Dieses Problem können wir mit einer Untergrundbahn lösen«, versicherte Silversleeves seiner Frau. »Von einem Ende Londons zum anderen innerhalb von Minuten. Es ist nur eine Frage der Entlüftung und des Rauchabzugs.«
    Auch für die stinkende alte Themse hatte er eine Lösung: ein neues Kanalisationssystem. Erst im letzten Jahr hatte er in Eigeninitiative eine Studie dieses Problems erstellt und war an jedem freien Tag hinunter in das Labyrinth der Kanalisationsröhren, Kloaken, unterirdischen Wasserkanäle und Senkgruben gestiegen. Er hatte ein vollkommen neues System entworfen, von dem er die städtischen Behörden überzeugen wollte, bisher ohne Erfolg.
    Die Eisenbahn von der London Bridge aus verlief auf hohen gemauerten Bogen, die sich wie ein riesiges Aquädukt über die zusammengekauerten Behausungen Southwarks zu den Grünflächen von Greenwich und Blackheath spannten und einen phantastischen Blick über das ganze Gebiet boten. Esther hatte gerade wieder einmal den Plänen ihres Mannes für eine neue Kanalisation gelauscht, als sie bei einem Blick aus dem Fenster plötzlich rief: »Arnold! Schau! Ich glaube, das ist Mary Anne!«
    Einige Sekunden lang, nachdem der Earl of St. James die Entwürfe auf dem Eßtisch von Kapitän Jonas Barnikel ausgerollt hatte, blieb der Seemann stumm. Der junge Meredith, der seinen Vater vertrat, sah interessiert zu. Dann strich sich Barnikel über den roten Bart und äußerte seine Meinung. »Das ist das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe.«
    »Damit können wir die Amerikaner schlagen«, erklärte St. James. »Ich wette darauf.«
    Es waren die Entwürfe für ein Segelschiff. Obwohl allmählich ein Teil des Handels auf den Weltmeeren mit Dampfschiffen abgewickelt wurde, machte der Transport mit Segelschiffen immer noch den weitaus größten Anteil aus. Die schnellsten, elegantesten und romantischsten waren die Klipper, sozusagen die Windhunde der Meere. Die Entwürfe ließen vermuten, daß dies der schnellste Klipper werden könnte, den man je gebaut hatte.
    Die Amerikaner hatten alles verändert, als ihre berühmt schnellen Baumwollklipper vor zwei Jahren in den englischen Teehandel eingestiegen waren. Die Schiffe verließen London mit verschiedenen Ladungen, nutzten die nordöstlichen Passatwinde, um den Atlantik hinunter und um die Südspitze Afrikas zu segeln, dann fahren sie mit Hilfe der ozeanischen Sturmwinde weiter in den Fernen Osten, wo sie ihre Fracht löschten. Im Hochsommer kamen sie in die chinesischen Häfen Shanghai oder Futchou, ankerten zwischen den Dschunken und Sampans und warteten auf die ersten Lieferungen von Teeblättern der neuen Ernte. Kaum waren sie an Bord, wurden die Schiffe, während alle anderen Salutschüsse abfeuerten, voll beflaggt aus dem Hafen geschleppt, um zu dem großen Wettrennen in die Heimat anzutreten. Mit den

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