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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ehrerbietig. »Wohin gehen wir?«
    »Von diesem Ort hast du wahrscheinlich noch nie gehört«, sagte Elfgiva. »Es ist nur ein kleiner Handelsstützpunkt. Lundenwic heißt er.«
    Was immer die Bestimmung sein mochte – Elfgivas Schicksal lag an diesem Morgen zweifellos in den Händen einer kraftvollen Gestalt, die in diesem Augenblick parallel zu ihr ritt. Obwohl es nur zwanzig Meilen Luftlinie waren, hätte Cerdic auch eine ganze Welt entfernt von ihr sein können, denn er befand sich auf der anderen Seite der Themsemündung; er ritt auf den hohen Kreidehügeln des Königreiches Kent dahin.
    Die beiden Seiten der Flußmündung hätten nicht unterschiedlicher sein können. In Ostanglien erstreckte sich niedriges, flaches Land, während die schmale Halbinsel Kent von den hohen Hügeln unterteilt war, die nach Osten führten, bis sie abrupt an den hohen, weißen Klippen endeten, die auf das Meer hinausstarrten. Zwischen den Hügeln lagen weite Täler mit offenen Feldern im östlichen Teil, dichte Wälder, kleinere Felder und Haine im westlichen Teil.
    Elfgiva stammte von der wilden, freien Küste, Cerdic aus dem geordneten Kent. Und hier lagen die größten Unterschiede. Seine Familie hatte seit der ersten Besiedlung der Sachsen und Jüten hier gelebt. Ihre Ländereien im Westen waren noch immer seine eigentliche Heimat, doch als junger Mann hatte Cerdic noch ein zweites Heim an dem kleinen Umschlagplatz Lundenwic an der Themse gegründet. Hier nahm er Waren in Empfang und verschiffte sie auch, oder er reiste selbst mit einer Reihe von Packpferden in alle Ecken der Insel. Der Handel hatte ihn reich gemacht.
    Er war ein großer, stämmiger Mann, ein Sachse bis ins Mark, mit hellen Haaren, blauen Augen und leicht aufbrausend. Sein Bart war noch dicht, doch sein Haupthaar wurde allmählich schütter, und sein Teint ließ vermuten, daß er dunkelrot anlaufen konnte, wenn er wütend war. Sein breites, germanisches Gesicht hatte hohe Wangenknochen, die eine gewisse kühle Strenge und Autorität ausstrahlten. »Stark wie ein Stier, hart wie eine Eiche«, pflegten seine Männer über ihn zu sagen. Und noch zwei Wesensmerkmale wies Cerdic auf, die auch bei seinen Vorfahren schon auffällig gewesen waren: Zum einen hatte er noch nie sein Wort gebrochen, zum anderen – und dies wurde oft mit Erstaunen, ja sogar mit Furcht betrachtet – hatte eine Sache für Cerdic immer nur zwei Seiten. Bei jedweder Entscheidung gab es für ihn nur eine richtige und eine falsche Antwort, dazwischen gab es nichts. Dies bedeutete nichts Gutes für seine Frau. In diesem Augenblick nämlich kehrte Cerdic vom Hof seines Herrn zurück, von König Ethelbert von Kent, der in Canterbury wohnte. Und dort waren alle Christen.
    Damals, als Offas Vorfahre Julius Münzen im römischen Londinium gefälscht hatte, war das Christentum nur eine Art Kult gewesen. Doch dank der Bekehrung Kaiser Konstantins wurde es im folgenden Jahrhundert die Staatsreligion des Reichs, und Rom wurde die Hauptstadt der Christen. In Britannien wie auch in den anderen römischen Provinzen wurden Kirchen errichtet, häufig an Stellen, an denen früher heidnische Tempel standen. Dann kamen die Angelsachsen mit ihrem festverwurzelten heidnischen Glauben. Die britischen Christen lehnten sich auf, doch sie waren vom Rest der christlichen Welt abgeschnitten und verstummten schließlich. So verging mehr als ein Jahrhundert.
    Dann kamen die Missionare. Aus Irland, das vor kurzem von St. Patrick bekehrt worden war, kamen die keltischen Mönche. Im Norden der Insel, nahe der Grenze zu Schottland, wurden Klöster errichtet. Dennoch hing ein Großteil von England noch den nordischen Gottheiten an, bis im Jahre 597 der Papst den Mönch Augustin herüberschickte, um die Angelsachsen dem wahren Glauben zuzuführen. Die erste Station seiner Missionsarbeit war Canterbury, das seit der Römerzeit eine Art Nabe war, mit der alle Häfen von Kent verbunden waren. Wenn ein Reisender vom Festland kam, war Canterbury der erste bedeutendere Ort, den er erreichte. Wichtiger als diese geographische Lage war, daß König Ethelbert von Kent, dessen Hauptsitz Canterbury war, eine fränkische Prinzessin heiratete, deren Volk bereits bekehrt war. Die Anwesenheit dieser christlichen Königin machte Canterbury für die Kirche besonders interessant. In der damaligen Zeit gab es eine einfache Regel: »Bekehre den König. Der Rest wird folgen.«
    »Ich weiß, daß ich Euch absolut vertrauen kann, Cerdic!« Erst

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