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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Sklave würde er dennoch auch stets ihr zur Verfügung stehen. Ricola wurde befohlen, den Frauen zu helfen.
    Anfangs hatte das Paar zu viel zu tun, um groß nachzudenken. Doch Offa blieb immer noch genug Zeit, um sich umzuschauen, und das, was er sah, gefiel ihm gut. Der kleine Handelsposten Lundenwic war ein hübscher Fleck. Die nahegelegene Furt war nützlich zur Überquerung des Flusses, aber sie lag in einem Niemandsland zwischen den sächsischen Königreichen von Kent und Essex und hatte deshalb keine besondere Bedeutung.
    Als die Sachsen sich zu Lebzeiten von Cerdics Vater dort niederließen, hatten sie die großen, leerstehenden Ruinen von Londinium auf den nahegelegenen Hügeln nicht weiter beachtet. Sie suchten sich diesen hübschen Fleck aus, an der der Fluß eine Kurve machte und das Nordufer sanft zum Wasser hin abfiel, und errichteten eine Anlegestelle. Diesen Landeplatz nannten sie Lundenwic; Lunden stammte aus dem alten römischen und keltischen Namen dieses Ortes, die Nachsilbe wie bedeutete in der angelsächsischen Sprache »Hafen« oder wie in diesem Fall »Handelsposten«.
    Oberhalb der hölzernen Landebrücke befanden sich ein paar kleinere Gebäude – eine Scheune, ein Pferch für die Tiere, zwei Lagerhallen und das Heim von Cerdic und seinem Haushalt, das von einem festgeflochtenen Zaun umgeben war. Alle diese Gebäude waren ebenerdig und überwiegend rechteckig. Die Wände waren aus Brettern gefertigt und nur vier bis fünf Fuß hoch. An der Außenseite waren sie mit Lehm abgedichtet. Die strohgedeckten Dächer ragten bis zwanzig Fuß hoch. Jedes Gebäude hatte eine feste Holztüre. Cerdics Halle hatte einen Holzfußboden, auf dem Binsen lagen. Im Inneren des Hauses war es warm und gemütlich, wenn auch ziemlich dunkel, da bei geschlossener Türe nur aus ein paar Schlitzen im Dach Licht hereindrang. Die Öffnungen dienten dazu, den Rauch aus dem Feuer der steinernen Herdstelle, die sich in der Mitte der Halle befand, entweichen zu lassen. Hier versammelte sich der gesamte Haushalt zum Essen. Neben der Halle standen mehrere kleine Hütten; in einer von ihnen waren Offa und Ricola untergebracht.
    Dieser Ort war wirklich sehr hübsch. Das grasbewachsene Nordufer bot einen herrlichen Blick auf die riesige Biegung des Flusses und auf die Sümpfe an der gegenüberliegenden Seite. Weniger als eine Meile zur Rechten lag die Furt, und zur Linken konnte man durch die Bäume hindurch die Umrisse der großen römischen Ruinen auf den Hügeln erkennen. Auf der anderen Flußseite gab es eine Kieshalbinsel, die bekannt für ihre guten Fischgründe war. Von der römischen Brücke, die früher einmal die Hügel mit der Halbinsel verbunden hatte, waren nun nur noch ein paar morsche Holzbalken auf der Südseite übrig.
    Lundenwic war zwar klein, doch es war immer viel los, wie Offa bald herausfand. »Der Herr verbringt mehr Zeit hier als in Bocton«, hatten die Männer Offa erklärt. Boote kamen aus dem Inneren der Insel den Fluß herunter, und da Cerdics Handel sich zunehmend ausweitete, kamen sogar Schiffe aus den Ländern der Nordmänner, der Friesen und Germanen, von der Flußmündung herauf. In den Lagerhäusern sah Offa Tonwaren, Wollballen, wunderbar gearbeitete Schwerter und andere metallene Gegenstände. Ein Gebäude stand etwas abseits. Es war eine feste, strohgedeckte Hütte, lang, schmal und sehr niedrig, so daß man nur mit Mühe aufrecht darin stehen konnte. An den beiden Seiten der Hütte befanden sich schmale Boxen, die für Schweine oder kleinere Nutztiere hätten sein können. An den Pfosten baumelten Ketten.
    »Wofür sind denn diese Ketten?« wollte Offa wissen. Der Vorarbeiter blickte ihn schief an. »Die sind für unsere beste Ware, diejenige, die unseren Herrn reich macht«, erklärte er.
    Nun hatte Offa verstanden. Wieder einmal war die Insel wegen ihrer Sklaven berühmt, wie auch schon in den Zeiten vor den Römern. Die Sklaven wurden nach ganz Europa verkauft. Manche von ihnen waren die Verlierer bei den immer wieder aufflackernden Kämpfen zwischen den verschiedenen angelsächsischen Königreichen; einige hatten sich auch eines Vergehens schuldig gemacht, doch die meisten gelangten einzig und allein aus dem Grund in die Sklaverei, weil es einfach zu viele waren, die es zu füttern galt; sie wurden von ihren eigenen Leuten verkauft.
    »Die Friesen holen sich jedes Jahr eine Schiffsladung ab«, bemerkte der Vorarbeiter. »Du hast Glück gehabt, daß die Herrin und nicht der Herr euch

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