London
nachdem Ihr mir soviel von Eurem Vater erzählt habt, wollt Ihr wohl auch mich retten?« setzte sie lächelnd hinzu.
Da hörte sie jemanden nach ihr rufen. »Ihr müßt gehen!« sagte sie und schickte sich an, ins Haus zurückzukehren.
»Und was werdet Ihr tun?« rief er ihr noch hinterher. Doch sie war schon zwischen den Bäumen verschwunden.
Als Wistan wieder zu Hause auftauchte, bedrohte Cerdic ihn zwar mit der Peitsche, doch die Entschuldigung des Jungen, daß er sich auf der Jagd verirrt habe, klang so unwahrscheinlich, daß der Händler nur leise grinste und zu seinen Leuten meinte: »Ich wußte doch, daß es um ein Mädchen ging.«
Doch dann kam wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel die Nachricht, daß die junge Braut ihre Meinung geändert habe. Der Bote ihres Vaters erklärte verlegen, daß sie nicht kommen würde. Cerdic erinnerte sich daran, wie aufgebracht Wistan gewesen war, und als er nun forschend seinen blassen Sohn musterte, kam ihm gleich in den Sinn, wie die Sache wohl abgelaufen war. Nicht lange, da kam die Wahrheit ans Tageslicht. In einem wahnsinnigen Wutanfall griff Cerdic nach einem Peitschenstock, und wenn Wistan nicht davongelaufen wäre, hätte er ihn wohl erschlagen.
Doch was sollte er nun tun? Cerdic dachte kurz daran, noch einmal nach dem Mädchen zu schicken und den Vater aufzufordern, zu seinem Wort zu stehen, doch dann fand er, daß dies unter seiner Würde sei. Einige Tage stampfte er in stiller Wut auf seinem Anwesen herum, und Wistan hielt sich klugerweise fern von ihm. Dann verebbte seine Wut allmählich und wich einem Gefühl der Mattheit. Er wollte es sich nicht recht eingestehen, doch er vermißte den Trost, den seine Ehe ihm immer gespendet hatte. Aber wenn er es sich erlaubte, nachdenklich Elfgiva anzustarren, blieb sie völlig kalt und ablehnend.
Eine ganze Woche verstrich, bis er in die Halle schlenderte, in der seine Frau mit Ricola saß, und ihr gelassen erklärte, daß er die Suche nach einer neuen Frau aufgeben und sie wieder zu sich nehmen würde, falls sie dem Beispiel ihrer Söhne folgte und sich taufen ließe. »Vielleicht wollt Ihr es Euch noch eine Nacht überlegen«, gestand er ihr freundlich zu.
Doch schon kurz darauf stürmte er wieder aus der Halle, wütender als je zuvor. Sie hatte seinen Vorschlag abgelehnt.
Ricola starrte ihre Herrin verständnislos an. »Ihr müßt verrückt sein!« Noch vor einer Woche wären solche Worte einer Sklavin ihrer Herrin gegenüber undenkbar gewesen, doch zwischen den beiden Frauen war in den letzten Tagen viel passiert. Als einzige im Haus hatte sich Ricola in der Nacht zu ihrer Herrin gesetzt, als diese, unfähig, ihr Leid völlig zu verbergen, stille Tränen vergoß. Und Elfgiva hatte sich an ihre Sklavin gewandt, als Wistan vor dem wutentbrannten Vater in den Wald floh. Ricola hatte Offa losgeschickt, um den Jungen zu suchen, und sie hatten ihn in ihrer winzigen Hütte versteckt. Als Cerdic am nächsten Morgen unten am Kai war, schmuggelte Ricola Wistan herein, damit dieser seine Mutter sehen konnte, und sie hatte gehört, wie er sie anflehte: »Ich habe das Mädchen davon abgehalten herzukommen. Warum laßt Ihr Euch jetzt nicht taufen und geht zu ihm zurück?«
Deshalb wies Elfgiva jetzt das Mädchen nicht zurecht, sondern starrte nur schweigend ins Feuer. Sie wußte einfach nicht, was sie tun sollte. Das Bild von Wistan, wie er sie anflehte, der Gedanke an das, was er für sie getan hatte, bewegten sie zutiefst. Wie konnte sie ihm seine Bitte abschlagen, nachdem er ihr auf diese Weise seine Liebe gezeigt hatte? Und doch war es nicht so einfach. Hatte sich denn etwas geändert? Heute flehen sie mich an nachzugeben. Aber was wird morgen sein? Wird nicht alles wieder von vorn beginnen und nur noch schmerzhafter sein?
Ricola bedrängte sie ein weiteres Mal. »Wenn Ihr Euch nicht bekehren laßt, dann wird er sich sicher eine andere Frau suchen, sonst würde er sich ja eine Blöße geben. Es mag sein, daß er sich eines Tages wieder mit Euch überwirft, doch dieses Risiko müßt Ihr einfach eingehen! Es ist doch besser, als ihn jetzt zu verlieren. Wenn Ihr ihn nicht nehmt, wird es eine andere tun. Ihr habt doch nichts zu verlieren!«
»Bis auf meine Würde«, erwiderte Elfgiva müde und schickte das Mädchen weg.
Als das Yule-Fest näherrückte, begann ein geschäftiges Treiben in Lundenwic. Offa half den Männern, einen riesigen Baumstamm in Cerdics Halle zu zerren, wo er langsam viele Tage lang brennen sollte
Weitere Kostenlose Bücher